If this is redemption, why do I bother at all

„Was denn?“ Peter bewegt seinen Kopf wenige Zentimeter zurück, gerade so viel, wie es ihre Umschlungenheit erlaubt, gerade so weit wie nötig, um etwas Abstand aufzubauen. „Ach nichts.“, sagt Hannah und Peter möchte sie gerne schütteln, möchte jetzt diese Antwort haben, möchte es wissen, möchte ihr die Worte nicht aus der Nase ziehen müssen, möchte sie umarmen und sie küssen, möchte hier bleiben, bis ans Ende ihrer Tage und will diese Nichtantwort einfach nicht akzeptieren. „Nun sag schon.“ – „Ach nein, Peter. Es ist mir peinlich.“ Peter lacht. „Wir standen eben hier noch, nackt, aneinandergeschmiegt, nachdem wir, wie du vielleicht bemerkt hast, in ein sehr kaltes Wasser gestiegen sind. Was kann dir da jetzt nur peinlich sein?“ Nun lacht auch sie.

„Es ist nur so“, beginnt sie, „dass ich … wie soll ich das sagen. Hm. Also, ich hab hier jetzt nichts geplant, ich habe echt keinen Plan, wo uns diese Schrottkiste noch hinführt heute Nacht, und ich hab auch grad echt keine Ahnung, in welcher Lacke wir hier gerade herumgehüpft sind, aber ich habe mir diese Nacht genau so vorgestellt. Habe sie mir so erträumt.“ Peter hört ihr zu und fragt: „Wie lange hast du sie schon geplant?“ ‚Ohne jetzt keinen Plan zu haben‘, denkt er sich noch. „Ich weiß nicht, Peter. Monate? Ein halbes Jahr? Ich weiß es nicht mehr. Aber ja, doch, es war wohl im Frühjahr, als du plötzlich wieder in meinem Kopf aufgetaucht bist. Als dieser wunderbare Mensch, der du in meiner Erinnerung warst und dem ich nie gesagt habe, wie gern ich ihn habe. Und dann war ich plötzlich wieder da, wir haben uns sozusagen ’neu‘ kennengelernt. Und ich wusste, dass du … dass ich, also … dass wir einfach, ja, dass wir einfach beide zu feige sein würden, um uns zu sagen, was wir fühlen. Ich habe es bei dir schon bald gesehen, habe die Gefühle bemerkt, war aber zu feige für den ersten Schritt. Und du? Du musstest ja auch erst zu einer Autobahnraststätte gefahren werden. Ich wusste also: Irgendetwas musste passieren. Und es durfte nichts Klassisches werden, kein Date im eigentlichen Sinne, nichts Erwartbares. Sobald du also in mein Auto gestiegen bist, begann diese Nacht und sie ist genauso verlaufen, wie ich es mir immer erhofft habe.“

„Du bist verrückt, Hannah!“, sagt Peter nach ihrem langen Monolog, der ihm endlich ein paar Antworten lieferte, „Wunderbar verrückt aber.“ – „Und du findest das nicht doof? Oder schräg? Oder abschreckend?“ Ein Lachen inklusive Kopfschütteln geben Hannah die Antwort. „Aber weißt du was schön ist, Hannah? Du … du magst mich.“ – „Komm!“, sagt sie, lächelnd, und zieht ihn hoch. Die beiden lassen den Bach hinter sich, gehen den Weg hinauf zum Auto, packen die Decke auf den Rücksitz und lehnen sich noch kurz gegen die Fahrertür. „Weißt du, Hannah. So verrückt das alles, was du mir erzählt hast, auch klingt. Es hat funktioniert, oder? Und das ist wunderbar.“ Sie nickt. „Fährst du?“

Peter stellt sich den Fahrersitz, den Innen- und die beiden Außenspiegel ein, bevor er das bereits augekühlte Auto anstartet. „Nächster Halt“, sagt er, „ungewiss!“ Die Nacht verliert schon etwas Dunkelheit, es ist jetzt etwas vor drei Uhr, wenn man der Digitaluhr im Amaturenbrett Glauben schenken darf. Die Zivilisation kehrt lange Zeit noch nicht zurück, sie fahren durch Landstraßen, vorbei an unzähligen Hektar Feldern und Wald. Aber schließlich gelangen sie wieder in ein Ortsgebiet. Ganz ruhig liegen sie hier, die vereinzelten Häuser, die vereinzelten Lichter, das vereinzelte Leben. Doch es ist noch nicht Zeit, wieder anzuhalten. Sie entfernen sich etwas vom Epizentrum und Peter lenkt das Auto langsam einen kleinen Hügel hinauf. Eine Sackgasse, wie ein Verkehrszeichen schon vor Hunderten Metern angekündigt hat. „Siehst du die Kirche da, Peter?“, fragt Hannah, als die Kapelle, erleuchtet, in Erscheinung tritt. „Warum, glaubst du, fahr ich hier hoch?“ Er hat sie schon vom Ortskern aus erblickt, wollte sie aus der Nähe sehen, hat sich den Weg gebahnt. „Es ist wunderschön, Peter.“ Ein Kuss.

Zwei öffnende Türen. Zwei schließende. Gemeinsame Schritte zum Eingang dieser Kapelle. „Sie ist verschlossen.“, erklärt Hannah, als sie sowohl gedrückt als auch an der Tür gezogen hat. „Eigentlich eine Verschwendung: Beleuchten da diese Kapelle, dass man sie aus der Ferne bereits sehen kann, aber wenn man sich ihr nähert, bietet sie keinen Einlass. Findest du nicht, Hannah?“, fragt Peter. „Aber … es ist ja so: Setzen wir uns doch einfach hier vor diese Kapelle, wenn wir schon mal da sind. Wer weiß, wann wir wiederkommen.“ Das wissen die beiden nämlich wirklich nicht, sie haben auch jegliche geografischen Hinweise maximal kurz erkannt, aber nicht zur Rückverfolgung in die richtige Gehirnschublade abgelegt.

„Danke.“ – „Wofür denn, Peter?“ – „Dass du so verrückt bist. Und all das gemacht hast. Dass du wieder in meinem Leben aufgetaucht bist. Dass du wieder da bist. Dass wir diese Nacht hier erleben.“ – „Das habe ich doch gerne gemacht. Es ist ja auch zu meinem eigenen Vorteil.“ Sie lacht und legt ihren Kopf auf seine Schulter. „Aber Hannah, weißt du was?“ Sie schweigt und Peter setzt fort: „Wie wird es nach dieser Nacht weitergehen? Wird es so wunderbar, wie wir es uns vorgestellt haben? Was, wenn dann plötzlich alles anders ist und diese Nacht nur unglaublich erscheint, alles davor und danach aber nur eine reine Lüge war und sein wird? Ich weiß, Hannah, es ist der falsche Zeitpunkt, es ist wahrscheinlich vollkommen dumm, ich weiß. Aber ich habe dich schon einmal verloren und ich will es nicht noch einmal. Ich schaffe das nicht mehr. Ich kann das nicht. Ich bin richtig beschissen darin.“

Hannah legt ihre Arme um seine Schultern und Arme, küsst ihn auf die Wange und legt ihre Stirn an seinen Kopf. „Wir können nie wissen, was kommt. Das geht einfach nicht. Und wir verlieren uns nicht. Nicht richtig. Egal was passiert, irgendwie bleiben wir verbunden, und dann tauche ich wieder auf, mit einem unschlagbaren Plan oder auch du. Und vielleicht brauchen wir all das auch gar nicht. Vielleicht ist es das, vielleicht ist das der Beginn unseres gemeinsamen Endes.“ – „Vielleicht, ja.“ – „Und ansonsten versprechen wir uns einfach: Sollten sich unsere Wege irgendwann doch trennen, dann wollen wir uns nicht verletzen. Nicht mutwillig, nicht unvorsichtig. Wir werden Acht geben, in guten, wie in schlechten Zeiten, okay?“ – „Versprochen, Hannah.“

Am Horizont verliert der Himmel an Dunkelheit, ganz langsam scheint sich die Sonne wieder hervorzukämpfen. Es ist doch viel zu früh, denkt sich Peter, es soll doch noch Nacht bleiben. In dieser Nacht seien sie unbesiegbar, sagt er sich. Diese Nacht solle bitte niemals enden. Sie bleiben sitzen, vor dieser verschlossenen Kapelle, sehen in die Ferne, sehen noch die letzten Sterne, sehen schon die ersten Strahlen. „Vielleicht, ja.“, wiederholt Peter in Gedanken seine Worte, nur um diese Möglichkeit des Vielleichts noch etwas zu verstärken. Und trotz der immer noch vorhandenen Angst, trotz all dem Ungewissen, trotz alledem sitzt er hier mit Hannah und ist irgendwie glücklich.

(Den ersten Teil von Hannah und Peters Nacht kann man hier nachlesen. Den zweiten Teil hier. Und den dritten Teil hier.)

Bildquelle: AndyTriggerRaw / Pixabay

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