But I wish I never knew you, wish I never asked your name

NeonWilderness20102014-2

„Es ist ja so.“, sagt Peter. So beginnt er die meisten seiner Gespräche. „Es ist ja so, dass alles okay war, alles war ganz einfach nur okay. Nichts Besonderes, nein. Es war okay, und wenn ich mich jetzt so zurückerinnere, war dieses okay mit dem Wissen von heute mehr als nur genug. Alles war großartigst okay. Doch dann kamst du.“

Er sieht ihr ganz tief in die Augen. Sie leuchten, weil die Nacht ihre Lichtquellen gezielt auf sie richtet. Hannah hat damit gerechnet, dass er so reagieren würde, sie kennt ihn ja nun doch ein bisschen. Sie kennen sich einfach, so wie man sich eben kennt, wenn man gemeinsam aufgewachsen ist, sich auseinanderlebt, sich voneinander entfernt, eine anderer Route einschlägt und irgendwie trifft man sich dann schließlich wieder, an einer Kreuzung, kennt sich kaum noch und kommt sich doch wieder näher. Sie lächelt und versteht und macht Peter damit wütender als er eh ohnehin schon war.

„Es ist ja so.“, beginnt er wieder. „Dass wir uns wohl nicht kennen würden, hätten wir uns nicht bereits einmal gekannt. Wir hätten an uns vorüber geblickt, unsere Wege hätten sich getrennt und wir hätten nie wieder einen Gedanken an uns verschwendet.“ – „Aber willst du jetzt die Vergangenheit verantwortlich machen?“ Peter schüttelt den Kopf.

„Ich hab dir immer gesagt, dass du nicht mitkommen musst. Ich habe dir erklärt, dass ich dich gerne dabei hätte, dass ich mir das überlegt habe und du mir in den Sinn kamst. Ich habe dich nicht entführt, habe dich nicht gezwungen. Es war deine ganz eigene Entscheidung, aus diesem ‚Okay‘ auszubrechen und mit mir gemeinsam durchzustarten.“ Ja, das war es. Peter hat sich dafür entschieden, hat es einmal anders gemacht, als man es von ihm erwartet hatte, als er es von sich erwarten würde. Aber darf man es im Nachhinein nicht auch noch bereuen?

Sie tritt fester auf das Gaspedal und das ist okay. Es ist mitten in der Nacht und niemand außer Hannah und Peter ist auf der Straße. Der Nebel hüllt sich sanft um ihr gemeinsames Abenteuer. „Du warst schon immer mutiger als all die anderen. Oder irrsinniger. Je nachdem, wie man es sehen möchte. Ich habe das immer an dir bewundert. Habe mich immer gefragt, wie du das zustande bekommst. Wie du deinen Weg gehst, ganz anders als die anderen, und niemals Angst bekommst.“

Hannah lacht. „Niemals Angst? Du hast dir das wohl die ganze Zeit zu schön ausgemalt. Natürlich habe ich Angst. Aber sich der Angst zu stellen erfordert Mut. Erst durch die Ängstlichkeit bin ich groß geworden.“ Ihre Blicke treffen sich wieder. „Es ist ja so,“, erlärt Peter, „dass wir da grundverschieden sind. Ich habe oft Angst. Aber ich werde dadurch nicht mutiger.“

„Weil sie dich bremst, Peter. Weißt du, dass das auch der Grund war, warum wir uns aus den Augen verloren hatten? Weil du es nicht gewagt hast. Du hast so vieles nicht gewagt, du hast dich von der Angst bestimmen lassen, du hast dir keine Chance gegeben.“ Er nickt. „Und deswegen bin ich wieder zu dir gekommen. Weil ich es nach all den Jahren nicht hinnehmen wollte. Ich habe dich nicht aus den Augen verloren, auch wenn unsere Welten so grundverschieden zu sein scheinen. Ich wollte dich rausholen aus diesem ‚Okay‘, wollte dir zeigen, was es alles gibt.“

„Ich habe Angst.“, murmelt Peter. „Vor so vielem, Hannah, weißt du? Ich habe Angst, dass ich mich auch jetzt wieder nicht traue, dass mir weiterhin der Mut fehlt, dass du enttäuscht sein wirst, dass sich unsere Wege wieder trennen. Ja, davor habe ich auch Angst. Dass du auf einmal wieder weg bist, weil ich nicht das geworden bin, dass du geplant hast. Weil ich noch bin wie ich bin und ich will dich einfach nicht ein weiteres Mal verlieren.“ Ein sanftes Lächeln legt sich auf ihr Gesicht. „Ich habe dich immer bewundert, Hannah. Dein Leben, dein Lieben, habe deine Geschichten immer in mich aufgesaugt, habe mich in deine Geschichten verliebt und vielleicht auch etwas in dich, damals.“

„Wirklich?“ Peter nickt. „Und da war sie wieder, diese Angst. Ich habe dir das nie gesagt, weil ich Angst hatte, dass du nicht so denkst. Dass du mich magst, aber eben nicht so. Ich habe es dir nie gesagt, und war so verdammt froh, als du wieder vor mir standst und wir zu Teilen unserer Leben wurden, ein weiteres Mal. Und es hat damals weh getan, es dir nicht zu sagen, dich zu sehen, wie du jemand anderen kennenlernst, wie du dich verliebst, aber nicht in mich, wie du plötzlich nicht mehr da warst. Es hat verdammt lange wehgetan, und es hat lange gedauert, bis es wieder ‚Okay‘ wurde, verstehst du. Wenn das ein weiteres Mal passiert, bekommt meine okaye Welt tiefe Einrisse und ich würde mir wünschen, dich nie kennengelernt zu haben, nie damals nach deinem Namen gefragt zu haben.“

„Fällt es dir nicht auf, Peter?“ Die einzigen Worte von Hannah nach seiner großen Ansprache. „Was?“ – „Dass du jetzt schon mutiger warst als all die vielen Male zuvor. Du hast es mir gesagt, hast mir von deiner Angst erzählt, hast dich geöffnet. Du warst mutig, ohne es zu bemerken. Vielleicht bringen dich ja schon diese paar Kilometer fern deiner ‚Okay‘-Welt dazu, dich deiner Angst zu stellen.“ – „Hm.“ Die einzigen zwei Buchstaben, die ihm über die Lippen kommen.

„Wo fahren wir überhaupt hin?“ Hannah hat es ihm nicht erzählt, als sie auf klassische Art und Weise Steinchen an sein Fenster geworfen hat, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zu diese Reise überredete. Bis er endlich aufwachte und sich mit ihr in seinem Garten traf, wo sie mit ihrem Wagen auf ihn wartete. Sie sagt nichts, blinkt aber zur nächsten Autobahnraststelle, bremst ab, reiht sich ein und parkt vor diesem einstöckigen Gebäude architektonischer Langeweile, mit Metalltoiletten ohne Klobrille, mit Bezahlduschen und einem Kaffeeautomat. „Komm schon!“, sagt sie, läuft zum Automaten, kauft zwei Kaffees und setzt sich auf den Gehsteigrand, der die Parkplätze von der Raststättenebene unterscheidet. „Die Gefühle waren damals nicht nur auf deiner Seite, nur damit du es weißt.“ Er nimmt den Kaffee dankend entgegen, und freut sich. „Und was wäre nur gewesen, Peter, wäre da nicht deine Angst gewesen.“ Er nickt, bläst in den Kaffee, und nimmt seinen ersten, immer noch viel zu heißen Schluck.

„Sind wir schon angekommen, Hannah?“ Sie lacht. „Ach, Peter. Es ist ja so: Wir kommen nie wirklich an. Erwarte nicht immer ein Ziel, sondern lasse dich treiben. Wage, probiere, verirre dich. Wir sind noch lange nicht am Ziel, Peter, aber ich weiß selbst nicht, wo es uns heute noch hinführt.“ – „Die Sterne sind schön.“ Hannah nickt. Die Reise ist noch nicht zu Ende und während sie gen Himmel blickt, flüstert er nur ihren Namen, und als sie sich ihm zuwendet, küsst er sie. Er küsst sie, weil es nichts zu verlieren gibt, weil er sie nicht ein weiteres Mal verlieren will, weil er sie küssen will. Er küsst sie, weil die Sterne schön sind, und eine Welt die nur „okay“ ist, eben nur „okay“ ist. Weil er froh ist, sie kennengelernt zu haben und sie damals, als sie neu war an der Schule, angesprochen hat. Weil er damals mutig war, einer der seltenen Momente, und weil er es jetzt wieder sein wollte. Weil sie das Beste aus ihm herausholt und weil Hannah Hannah ist. Er küsst sie, weil der Kaffee noch zu heiß ist, um ihn zu trinken und die Nacht noch nicht zu Ende und das Ziel nicht bekannt.

(Den zweiten Teil von Hannah und Peters Nacht kann man hier nachlesen.)

Bildquelle: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von kuhnmi

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