Am Anfang des besonderen Jahres 2020 habe ich mir – bezogen auf die Lektüre der kommenden 52 Wochen – zwei Dinge vorgenommen: Ich möchte 52 Bücher lesen und diese sollen ausschließlich von Frauen geschrieben worden sein. Jetzt werden sich natürlich sehr viele fragen:
Warum nur Frauen?
Das ist relativ einfach erklärt: Beim Blick in mein Bücherregal im Haus meiner Eltern (sozusagen dem literarischen Zentrallager) habe ich vor einiger Zeit mal nur die Bücher von Autorinnen herausgezogen. Die Zahl war erschreckend gering und das Ausmaß war mir bis dahin noch nicht wirklich bewusst. Geschichten über Lebensrealitäten, die nicht die meinen sind, interessieren mich seit einiger Zeit viel stärker als die Geschichten von weißen Mitdreißigern in ihrem Job, der irgendwas mit Medien zu tun hat – das ist mein Leben, darüber brauch ich nicht auch noch zu lesen.
Weil mir dabei auch vorgeworfen wurde, sexistisch zu sein (LOL): Ich sage ja nicht, dass Männer per se schlechte Bücher schreiben (ich möchte ja auch mal eines veröffentlichen), aber mein Interesse in diesem Jahr hat ausschließlich Frauen gegolten.
52. Wer bietet mehr?
Ich habe in diesem Jahr 53 Bücher gelesen. Welche genau, kannst du auf meiner 2020-Challenge-Seite auf Goodreads nachlesen. Außerdem würde es sich hier auch anbieten, dass wir uns gegenseitig folgen. Auch in diesem Jahr bin ich regelmäßig über die Lesegewohnheiten anderer auf interessante neue Bücher gestoßen.
Mit den Ohren lesen
Ich hab das alte Statistiktool mal wieder rausgekramt und hab in dieser wunderschönen interaktiven Grafik aufgezeigt, in welcher Form ich in diesem Jahr Bücher genossen habe.
[infogram id=“a73a2d60-db9f-4db0-a2a3-652547c0327d“ prefix=“GVd“ format=“interactive“ title=“Copy: ebookPrintHörbuch2020″]
Wenn man durch die Jahre blättert, erkennt man, dass Hörbücher am Anfang gar nicht existent waren, wohingegen sie im Jahr 2020 knapp die 50%-Marke unterschritten. Aber ja – wenn man jeden Tag 10.000 Schritte geht, dann hat man da auch Zeit, neben großartigen Podcasts auch wunderbare Hörbücher zu hören.
Alter vor Schönheit?
Ich mag es ja, Bücher von Menschen zu lesen, die noch leben. Dann kann ich mir, bei Gefallen, etwas Vorfreude angewöhnen, wenn das nächste Buch schließlich erscheint. Bei toten Menschen ist hingegen meist schon alles in den Regalen. Und ist das dann mal ausgelesen, kommt nichts mehr nach. Das zeigt sich auch in dieser Grafik – die meisten Bücher erschienen im letzten Jahrzehnt.
[infogram id=“2644c9c8-4f56-480e-8a3a-62fac00a0819″ prefix=“3Fa“ format=“interactive“ title=“Copy: Jahrgang erschienen 2018″]
Geschichten von woanders
Bei meinem letzten literarischen Rückblick vor zwei Jahren habe ich auch begonnen, die Herkunftsländer der AutorInnen auszuwerten. Um es (für mich) einfacher zu machen, habe ich bei allen Autorinnen das Land genommen, in welchem sie geboren wurden.
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Die Auswertung zeigt: 3/4 der Bücher kommen aus den USA, Deutschland und Österreich. Da wär vielleicht ein bisschen mehr Abwechslung in den kommenden zwölf Monaten angebracht.
Fakten, Fakten, Fakten
Das längste Buch in diesem Jahr war GRM von Sibylle Berg mit 634 Seiten. Ich habe es auf zahlreichen Spaziergängen als verstörend-gutes Hörbuch genießen dürfen. Das kürzeste Buch (und davon gab es einige) war Krieg: Stell dir vor, er wäre hier von Janne Teller.
Die Durchschnittslänge meiner 53 Bücher waren 222 Seiten.
Insgesamt habe ich 11.727 Seiten gelesen. Das ist wenig, deutlich weniger als z.B. 2018, als ich mit 17.667 Seiten auftrumpfen konnte. Aber vielleicht kommen Frauen einfach auch schneller auf den Punkt. (Oder ich hab ganz bewusst kürzere Bücher gesucht, damit ich die Challenge schaffe … wer weiß.)
Das Ranking, auf das jede*r gewartet hat
Aus 53 Büchern meine zehn liebsten Bücher auszuwählen ist natürlich keine einfache Aufgabe. Aber für euch, meine lieben Leser*innen stelle ich mich dieser Herausforderung natürlich sehr, sehr gerne.
- Marianengraben von Jasmin Schreiber
- Emotionaler Leerstand im privaten Eigentum von Lena Johanna Hödl
- Es fehlt viel von Katherina Braschel
- Das große Heft, Der Beweis und Die dritte Lüge von Ágota Kristóf
- Ich bin Malala von Malala Yousafzai
- KURT von Sarah Kuttner
- VOX von Christina Dalcher
- Die letzten Kinder von Schewenborn von Gudrun Pausewang
- Wer die Nachtigall stört… von Harper Lee
- GRM von Sibylle Berg
Fazit: Lest mehr Frauen
Habe ich schlechte Bücher von Autorinnen in diesem Jahr gelesen? Oh ja. Oder Bücher, die großartig starten und echt schlecht enden? Leider auch: Ja. Aber es wäre ja auch verrückt anzunehmen, dass Frauen nur großartige Bücher schreiben würden. Aber dank meines diesjährigen Fokus habe ich ein paar außergewöhnliche Perlen in meine Literaturliste aufnehmen können. Vor allem die Kristóf-Trilogie, die ich im Dezember innerhalb einer einzigen Woche verschlungen habe, hat mich richtig schön aufgewühlt. Auf diese Bücher gekommen bin ich übrigens nur, weil ich sie in einer Instagram-Story entdeckt habe.
Und falls ihr schon dabei seid, könnt ihr mir, meinem Blog-Account und meinem Kürzesttext-Account ichdeinerwirnicht folgen. Ich würd mich über eure Unterstützung freuen und verkünde hiermit meinen Vorsatz, diesen Blog in diesem Jahr wieder etwas zu beleben.
Ein Geschlecht komplett ausschließen möchte ich aber in den kommenden Monaten nicht mehr. Einige großartige Bücher von Männern sind in diesem Jahr liegen geblieben, die jetzt von mir von Staub befreit werden müssen, damit ich mich endlich auch an sie setzen kann. Aber at least 50 % Autorinnen möchte ich auch in diesem Jahr auch wieder schaffen.
Und ihr so?
Wie war euer Lesejahr? Habt ihr in Büchern eine Abwechslung vom wirklich sehr bescheidenen Alltag zwischen Angst, Lockdown und Verzweiflung gefunden? Erzählt mir davon und sagt mir, welches Buch euch im vergangenen Jahr am allermeisten überrascht hat.
Falls ihr in der Vergangenheit schwelgen wollt: hier findet ihr meine Lesejahre 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018.
Hallo!
„Das große Heft“ von Ágota Kristóf habe ich vor einigen Jahren gelesen und kann mich noch gut daran erinnern. Die Ursache dafür dürfte dir ja bekannt sein, weil es mangelt ja nicht an Grausamkeiten. Eine Frage habe ich mir gestellt, können Kinder so grausam sein?
Haben Romanschriftstellerinnen eine Liebe zu alltäglicher Brutalität? An dieses Buch schließen zwei Romane an, die ich dieses Jahr gelesen habe: „Die Freiheit der Fische“ von Sophie Reyer und „Für den Herrscher aus Übersee“ von Teres Präauer. Beide Autorinnen bilden Kinder- und Jugendjahre ab, mit einigen psychischen und physischen Gewaltszenen. Schmerz zu beschreiben scheint ein weibliches Phänomen zu sein.
Gruss schlagloch
„GRM“ fand ich auch eines der besten, das ich 2020 gelesen habe. Das letzte Wort über Internet-Datenkraken und ein sehr schonungsloser Blick auf die Welt, wie sie heute ist.