Everything changes. [Teil 1]

„Sophie!“, schreit er, „Bleib stehen, Sophie! Verdammt!“ Sie läuft, läuft nicht einfach vor sich hin, nein. Sie läuft davon. Läuft davon vor ihm und all dem hier, läuft davon vor ihr selbst oder dem, was aus ihr geworden ist. „So bleib doch stehen.“, murmelt Peter, eher für sich als für die weite Welt da draußen und die Nacht. Ein Schluck, und die Dunkelheit hat sie hinuntergespült, hat Sophie verschwinden lassen. Die Autos, sie rasen und hupen, fahren hinter ihm vorbei, bleiben nicht stehen und er kann sich nicht bewegen. Zu vieles hat sich verändert.

Die Welt dreht sich weiter. Die Wohnung ist leer. Als Peter die Tür aufschloss, waren ihre Schuhe weg und ihre Jacken, ihr meisten Sachen. Hastig gepackt, doch die Stille, die hat sie ihm da gelassen. Nicht sorgsam in eine Schachtel gepackt, sondern als Nebel in allen Zimmern. Er dreht das Radio auf, Verkehrsnachrichen und stellt sich mit einer Zigarette zum Fenster. Selbst die Stadt sieht in diesen Morgenstunden träge aus, noch nicht richtig durchgestreckt, noch nicht ganz bei sich. Langsam bläst er den Rauch durch seine Nase und er sucht sich den Weg zurück ins Zimmer. Das hatte Sophie immer verrückt gemacht, doch jetzt ist es egal. Jetzt ist alles egal und er wandert zur Kaffeemaschine und leert sich den abgestandenen Kaffee des Vortrages in die Tasse von vor zwei Tagen. Nach dem ersten ernüchternden Schluck ertränkt er seine Zigarette darin.

Er setzt sich vor sein Notebook, es läuft, ja, es läuft eigentlich ständig und auch gestern Nacht hat er es nicht zugeklappt, als er die Wohnung verlassen hat. Die letzten zwei Wochen schon ist Sophie manche Nächte nicht zu ihm gekommen, hat irgendwann um kurz vor Mitternacht noch geschrieben, dass sie woanders übernachte. Er hat ihr nach der dritten Nachricht gar keine Antwort mehr geschrieben. Der Abstand wurde größer. Selbst mit ausgestreckten Armen hat er sie nicht mehr berührt, ja, selbst wenn sie nebeneinander einschliefen, war es anders, war sie weg, viel zu weit weg.

Im Nachhinein ist nichts plötzlich passiert. Es war da, es war spürbar, er hätte es nur erkennen müssen, hätte ihm Einhalt gebieten müssen, doch er tat es nicht und jetzt hat sich die Zigarette bereits mit dem alten Kaffee vollgesogen und kalter, eisiger Wind bläst ihm durch das Fenster entgegen. Der Kirchturm schlägt sechs Mal und der Lüfter des Notebooks heult hörbar auf. Um acht muss er im Büro sein. Das Wasser schlägt ihm eiskalt entgegen, er erzittert, als er in der Dusche nach dem Warmwasserhahn sucht. Hier ist es wieder still, keine übertrieben fröhliche Guten-Morgen-Tages-Anmoderation mehr aus den rauschenden Boxen. Nur das Wasser und sein müder, nackter Körper.

Als er die Wohnung verlässt, extra noch die Tür zudrückt, um auf Nummer sicher zu gehen, ist die Jackentasche leer, der Schlüssel auf der Kommode hinter der nunmehr verschlossenen Tür. Durch das ganze Stiegenhaus hört man ihn, die Stufen hinterschlurfend, „Scheiße!“ schreiend. Sein zweiter Gedanke gilt Sophie und auch ihr spendiert er noch ein um einiges ruhigeres „Scheiße.“ Er geht vorbei, am schon lange nicht mehr ausgeleerten Postkasten, durch die große Eingangstür, vorbei an der Hausmeisterin, die sich um diese Uhrzeit schon um die Blumen kümmern kann.

„Habe mich ausgesperrt. Kommst du heute Abend vorbei?“ Senden.

„Einen schönen guten Morgen!“ Peter blickt auf, fast erschrocken, obwohl er eigentlich schon daran gewohnt sein sollte. Gewohnt an diese vollkommen verrückte Morgenfröhlichkeit von Roland, der auch jeden Tag mit diesem einen Bus zur gemeinsamen Arbeit fährt. Peter hat sogar schon einmal ernsthaft überlegt, extra einen anderen Bus zu nehmen, um dieser Fröhlichkeit zu entkommen, dabei meint es Roland ja auch nicht bös. „Morgen.“, murmelt er, rutscht zur Seite und gibt so den Platz neben sich frei. Er plant sich zu verloben, erzählt er ihm, voller Freude, fast aufgeregt wie ein kleiner Junge, der eine streng limitierte Legoburg zum Geburtstag bekommen hat, und Peter freut sich nicht für ihn. Weil sie so verdammt gut zusammenpassen und sie unglaublich hübsch und Roland in Wahrheit ja auch ein richtig netter Kerl ist. Und weil Sophie es nicht ist. Weil Sophie und er keine gemeinsame Zukunft haben, keinen gemeinsamen Weg, den sie bestreiten. Dabei ist auch sie unglaublich hübsch und Peter in Wahrheit.

So vieles hat sich verändert.

„Ich freu mich für dich. Wie hast du es vor?“, fragt er und Roland kann seinen Redeschwall kaum mehr stoppen, Peter lehnt dabei den Kopf an das große Busfenster, sieht die Welt vorbeiziehen, blickt immer mal wieder zu Roland, mit einem gespielten Lächeln, nickt. „Es wird wunderschön werden.“, sagt Roland und Peter ist sich sicher, dass es das sein wird. „Sophie hat mich verlassen.“, murmelt er beinahe unmerklich, als die beiden noch vor den großen Eingangstüren stehen, und er sich noch eine Zigarette aus dem Päckchen holt, während Roland eigentlich schon reingehen wollte. Er macht Halt, doch Peter deutet ihm an, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei.

Wann ist denn schon der richtige Zeitpunkt? Roland hat ihn vielleicht abgewartet, aber es ist immer noch möglich, dass seine Freundin unter keinen Umständen zu seiner Verlobten werden möchte. Man kann es nie wissen und vielleicht hat Sophie ihn richtig erwischt. Den richtigen Zeitpunkt, um sich einfach umzudrehen und wegzulaufen. Um verdammt noch mal einfach wegzulaufen, obwohl man doch möchte, dass sie stehen, dass sie hier bleibt. Hat den richtigen Zeitpunkt gewählt, um zu flüchten und einen Neuanfang zu wagen. Oder zumindest das Ende vorzuziehen.

„Wäre wichtig, kann auch nicht daheim sein, wenn du mir den Schlüssel unter die Fußmatte legst, falls du das willst. Bitte melde dich.“ Senden.

Der Kaffee der Firmenkaffeemaschine wird frisch gemahlen und landet heiß in der Tasse. Nach dem vergangenen Wochenende eine freudige Abwechslung zum Zigarettenkaffee des früheren Morgens. „Wann bist du denn heute ins Bett gekommen?“ Auch Roland macht sich gleich am Morgen auf den Weg in die Kaffeeküche, es scheint, als würde er ihn verfolgen, als wären sie ein siamesisches Zwillingspaar und Roland lebt das Leben, so wie es sein sollte, und Peter lebt. „Gar nicht.“

Bildrechte: niekverlaan / Pixabay

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