Der überaus tolle Matthias hat mich im vergangenen Jahr um einen Beitrag für seine „encyclopedia felicis“ gebeten – zum 10. *.txt-Wort veröffentliche ich den Glücksbeitrag noch einmal hier.
Wir streben ewig nach Glück und können es doch so schwer definieren. Immer gefangen in der Unbeständigkeit, erfüllt von der Angst, dass es jederzeit vorbei sein könnte, will man es festhalten und nicht verlieren.
Was ist Glück? Was macht mich glücklich? Natürlich fallen mir ein Dutzend Dinge ein, die mich glücklich machen. Die der Inbegriff von Glücklichkeit sind. Doch sind sie es wirklich. Sind sie nicht vielmehr ein Haltegriff, ein kurzzeitiger Schutz vor dem Verderben, dem Untergang? Ist man ohne diesen Dingen ganz einfach unglücklich oder gar ganz verloren? Es sind Geschichten, die mich glücklich machen, es ist ehrlich gemeintes Lob, es sind Ideen, Erfolge und ganz besonders sind es Menschen. Besondere Menschen. Doch Glück besteht doch niemals ohne Angst, oder?
Wer einmal glücklich war — wer ein Lächeln geschenkt bekam, etwas Nähe, pures Glück -, hat das Leben gespürt. Wem das alles aber genommen wurde, unerwartet, aus dem Rückhalt, ohne Grund, kann sich wohl lange Zeit nur mehr schwer an einem Glücksgefühl ergötzen. Weil doch alles eine Ablaufzeit hat und alles ein verdammtes Ende. Und weil Enden selten glücklich sind, denn Glück soll doch niemals enden.
Ich bin glücklich, wenn ich in meinem Element bin. Mein “Element” ist das Schreiben, ob nun literarische oder journalistische Texte. Das Spielen mit den Worten, das behutsame Aneinanderreihen der Sätze, das Eintauchen in die Welt der Fantasie und auch der Fakten. Schreiben macht mich glücklich, bringt mir Ruhe und hüllt mich ein. Glück hat somit auch etwas mit Leidenschaft zu tun und mit Hingabe. Nur etwas, in dem ich voll aufgehen kann, macht mich glücklich. So wie auch die Liebe: das Aneinanderkuscheln, die kleinen Neckereien, das Beobachten und Aufmerksamsein, das alles bedeutet für mich Glück. Etwas nachdem ich lange Zeit gestrebt habe, dass irgendwann erfüllt wurde und das ich nicht mehr gehen lassen möchte. Nichts bebt eindringlicher in meinem Körper als die richtigen Worte des Gegenübers. All das ist Glück und all das ist vergänglich.
Und manchmal verliere ich mich im Zwang des Glücklichseins. Wenn ich mir noch tage– und wochenlang vormache, vollkommen glücklich zu sein, und in Wahrheit rammen sich ganz kleine, feine Splitter in diese Schutzhülle, in diese Schicht Glück, die vielleicht auch nur mehr eine Erinnerung ist und ihre jetzige Existenz in Wahrheit schon gar nicht mehr nachweisbar ist. Das ist meist der Beginn eines tiefen Falls, denn anstatt langsam in ein Tief zu gleiten, pusht man das Glück immer weiter, verfällt vollkommen dieser unsäglichen Glücksutopie, bis zur Spitze, bis es nicht mehr geht und dann ist es plötzlich klar und voller Schmerz und man fällt und fällt und fällt. Und trotz der Erinnerung an die unzähligen Momente des Fallens, oder vielleicht sogar gerade deswegen, passiert es mir immer wieder, dass ich den Kokon zu bauen beginne, obwohl der unebene Grund unter mir doch eigentlich schon eine Warnung hätte sein sollen.
Ist Glück somit immer nur die Überbrückung bis zum Tiefstpunkt, kennt man die pure Glücklichkeit nur beim Aufstieg an die Spitze, nur um dann wieder nach unten gestoßen zu werden und wieder von Neuem den Weg hinauf in Angriff nimmt? Wäre dann dieses Glück nicht einfach nur sinnlos und würde man sich dann im Laufe des Lebens und im Laufe der Erfahrungen irgendwann die Hörner abgestoßen, die Liebe zum Glück abgewöhnt haben? Ich kann es nicht sagen, aber ich will es auch einfach nicht glauben.
Nichts ist unzerbrechlich, und vielleicht ist das der Grund, warum das Glück einen so reizt. Weil man immer danach streben muss und darum kämpfen. Weil etwas Unachtsamkeit und falsche Abzweigungen das Ende des Glücks bedeuten könnten. Man wird aufmerksamer, wird rücksichtsvoller, nur um das Glück auch weiterhin zu haben. Nur um nicht abzustürzen, nur um on Top zu bleiben. Und manchmal … ja, manchmal kann man tun und machen, was in der Macht steht, und trotzdem ist es weg. Das ist die schlechteste aller vorstellbaren Theorien.
Aber selbst wenn man das schon einmal durchgemacht hat, endet nie der Glaube ans Glück, oder der Wunsch danach. Denn das pure Glück ist wie eine Droge, das pure Glück lässt einen strahlen. Völlig sinnlos wäre das Leben, wäre da nicht das Glück. Und wie schrieb der kürzlich verstorbene Autor Gabriel García Márquez: “Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.” Und vielleicht beschreibt dieses Zitat am Besten, wie man mit der Absurdität des Glücks umgehen muss. Auf es zu verzichten, weil man sich der Endlichkeit bewusst ist, wäre einfach nur verwegen. Und selbst wenn das Ende einkehrt, so gab es doch diese unzähligen Momente des Glücks, die dann zwar nicht mehr existent, aber doch noch in der Erinnerung vorhanden sind. Und auch wenn das Glück verloren gehen kann, so muss das nicht auch mit der Erinnerung passieren.
Und auch Heine trifft mit seinem, meinem titelgebenden, Zitat den Nagel auf den Kopf. Nur selten wird uns die Essenz des Glückes ohne Grund ins Schoß gelegt, nur selten werden wir mit Glücksgefühlen belohnt, sondern wir selbst müssen es in die Hand nehmen, wir selbst sind die Boten des Glücks. Für andere Menschen, aber auch für uns selbst.
Denn so sehr das Leben versucht, einen Menschen pessimistisch werden zu lassen, so sehr bietet Glück etwas Hoffnung. Und diese Hoffnung nährt einen, lässt einen streben, kämpfen, für das Gefühl des Glücks, schenkt einem eine Aufgabe. Und mit der Aufgabe, glücklich zu sein, hört man das ganze Leben über nicht auf. Denn Glück ist in Wahrheit unbezahlbar, unerreicht und wundervoll. Glück ist das Höchste und Glücklichsein ist Leben.