Der Wind weht mit vollem Elan über den stillen, aber überfüllten Friedhof. Einmal im Jahr ist er immer voll. Einmal im Jahr muss man sich ganz einfach zeigen, denn, wie sähe es denn aus. Wenn das Grab. So ganz alleine. Und wenn man364 Tage am Grab stehen würde, aber genau heute krank wäre, müsste man sich trotzdem hinschleppen. Nur, um nicht ins Gerede zu kommen. Du weinst. Ich reiche dir ein, bereits zuvor zurechtgelegtes Taschentuch. Die schleppende Musik des gesamten Musikvereins zieht sich an den Mauern des Friedhofs entlang, der Pfarrer murmelt etwas in sein Mikro.
Der Blick auf den Grabstein lässt mich viel tiefer, in die Leere hinter ihm blicken. „Glaubst du eigentlich, dass die Toten im Himmel heute eigentlich auch an den Gräbern ihrer Lebenden stehen?“ Der Gedanke schwirrt durch meinen Kopf. Und lässt mich nicht mehr los. Muss schmunzeln, weil ich den Himmel nur für ein frommes Wunschdenken halte. Wie sehr würden die Toten für uns trauern? Weil sie nichts mehr zu befürchten hätten und wir, auf dieser Seite der Erde, in der ständigen Angst leben. Niemals frei sein können, weil Freiheit auch gleichzeitig das Ende bedeuten könnte. Sie würden uns so bemitleiden, würden uns wohl gerne sagen, dass es nicht so ist, wie wir denken. Würden uns die Angst nehmen wollen.
Aber weil sie das nicht können, stehen sie einfach nur stumm vor unseren Gräbern. Mit traurigen Gesichtern und warten auf ein Wiedersehen, am anderen Ende des Regenbogens oder wo auch immer. Und wir – der Wind drückt mächtig gegen die eigentlich winddichte Jacke – stehen hier und hoffen auf dasselbe. Nicht zu früh. Nicht jetzt. Aber immerhin.
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