So einzigartig, Moment für Moment. [Der Frühling]

DerFrühling

“Der Winter war hart, findest du nicht. Die eisige Kälte, all die Momente, in denen man sich in die dicken Mäntel zwingen musste, um da draußen nicht plötzlich mal einen unfreiwilligen Freitod zu sterben. Kann mich kaum dran erinnern, einen so langen, so maßlos andauernden Winter erlebt zu haben.” Du nickst, als ich mir gerade meinen Pullover ausziehe und es genieße, als die ersten Sonnenstrahlen sich zaghaft auf meine Haut zu setzen versuchen.

“Ich liebe den Frühling, weißt du?”, erwarte dabei kaum dein Nicken und setze fort. “Dieses Wiederauferstehen, dieser plötzliche Wandel von eisiger Kälte zu jenen Nächten, in denen man endlich auch mal wieder einmal draußen sitzen kann. Noch nicht lange, aber zumindest lange genug, um miteinander zu reden, sich den Himmel und all diese unendliche Weite von hier unten ansehen kann. Es beginnt wieder diese Zeit, in der man auf einer Decke sitzt und die Zeit zu genießen pflegt, findest du nicht?”

“Und während der Herbst mir immer, in solch unglaublicher Pracht, zeigt, wie Vergänglichkeit funktioniert, und mir vor Augen führt, dass es wohl wirklich schön ist, bevor es zu Ende ist, lässt mir der Frühling kaum Platz für solche Gedanken. Er hat seine eigenen Gesetze, nimmt mich an die Hand, und deutet mir mit überraschender Genauigkeit an, wo ich meine Aufmerksamkeit hinsetzen soll. Der Frühling erzeugt Gefühle und lässt mein Lächeln, dass ich seit Wochen schon trage, noch strahlender erscheinen. Ich mag ihn, den Frühling.”

Deinen Kopf auf deine linke Hand gestützt, neben mir sitzend, blickst du mich an, hörst wahrscheinlich kaum meine Worte, aber schenkst mir deinen Blick, welcher sanft über die Züge meines Gesichts gleitet. “Der Frühling bietet einem die Möglichkeit, Vergangenes ungeschehen zu machen. Der Herbst hat all das abgetötet, unter der Schneedecke des Winters ist es verwest. Oder nein, diese Macht besitzt selbst der Frühling nicht. Niemand kann irgendetwas ungeschehen machen. Vielmehr bietet er einem die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen und zu erkennen, welchen Weg man für sich ausgewählt hat. Sobald die Straßen und Wege von der weißen Decke befreit sind, erhält man endlich wieder einen Blick für die kommenden Schritte.”

“Und Jahr für Jahr schafft es diese Zeit, mich darauf zu besinnen, genau solche Tage wie diese zu genießen. Dem Alltag zu entfliehen, indem man die Zeitrechnung ganz einfach für kurze Zeit auszuschalten versucht. Die Augen schließt und das Gezwitscher der Vögel in sich aufsaugt. Und dann bist da noch du und du und der Frühling, ihr seid eine so wundervolle Symbiose, die perfekte Mischung. Ich mag den Frühling, weil ihr in Wahrheit genauso schön ist wie du. So einzigartig, Jahr für Jahr oder Moment für Moment und weil es im Frühling wahrscheinlich die schönste gemeinsame Stille gibt.”

Ich gebe dir einen Kuss auf die Wange. Ich glaube, du verstehst.

erstmals veröffentlicht: 21. März 2011
Bildquelle: AttributionNoncommercialNo Derivative Works Some rights reserved by Dave Durden

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