Alle Toten fliegen hoch: Amerika • Joachim Meyerhoff

Als während eines Austauschjahres in den USA so vieles entstanden und so einiges zu Grabe getragen wurde.

Es war als Emanzipation gedacht, als Flucht vor der Pubertät, der Familie und ja, auch vor der Schule. Joachim wollte nach Amerika, wollte dort Basketball spielen, wollte die Welt sehen. Doch als er – in Erwartung sowieso keinen Platz zu bekommen – sich als sehr religiösen und wunderbar prüden Deutschen ausgibt, gelingt es ihm doch. Aber anstelle der Metropolen wie New York oder Los Angeles landet er in Laramie, einer Stadt in Wyoming. Wahrscheinlich das größte Glück seiner Jugend. Und dann stirbt sein Bruder in einem Autounfall.

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Joachim Meyerhoff
geboren 1967 in Homburg, aufgewachsen in Schleswig

Weitere Werke:

  • Wann wird es endlich wieder so wie es nie war (2013)

Meyerhoff erzählt in seinem sechsteiligen Erzählzyklus „Alle Toten fliegen hoch“ seine Geschichte. Erschafft seine Biografie, mit allen Ausschmückungen. Der erste Teil, Amerika, beschäftigt sich mit dem Tod seines Bruders. Gerade als er mehr und mehr den Anschluss gefunden hat, sich so richtig in seiner Gastfamilie wohlgefühlt hat, bekommt er die Nachricht. Fliegt wieder zurück, spürt den Schmerz, die Trauer, die Aussichtslosigkeit und will zurück in jenen Ort, wo all das nicht ist. Laramie, hat den Vor- und den Nachteil keine Metropole zu sein. Er hat Freunde gefunden, kann sich schließlich schon richtig auf Englisch verständigen, liebt seine Gasteltern und hat sich zumindest nicht mit deren jüngsten Sohn, jedoch mit seinem Pferd angefreundet.

So lustig die Geschichten seines Heranwachsens in Schleswig zu Beginn des Buches auch sind, so fesselnd, berührend und wunderschön sind die Worte seines Erwachsenwerdens. Mit den gewohnten Problemen der versuchten Emanzipation, der Selbstüberschätzung, – wie der Buchrücken verrät: auch Selbstbehauptung – und der Hoffnung, in der Fremde zu jener Person werden zu können, die man immer sein wollte. Mit der Liebe, auch mit Sex und natürlich mit dem Tod, mit Trauer und dem Verlust. Wenn man selbst einen solchen Verlust erlebt hat, treffen Meyerhoffs Worte derart zielgenau. Weil man es kennt: einerseits die Liebe zur Familie, aber andererseits die Flucht vor dem Erdrücktwerden der Trauer, vor dem unbändigen Schmerz, der kein Ende nehmen will. Und schließlich das späte Verarbeiten, das Weinen, nach einer gefühlten Ewigkeit und der Rückkehr.

Meyerhoff erzählt so sympathisch von seinen Erlebnissen, seinen Erfahrungen und seinen Ängsten, dass man in ihm keine Literaturfigur sieht, sondern ein Mensch, der man selbst auch hätte sein können. Seine Worte sind offenbar mit soviel Bedacht gewählt, dass möglichst jeder Satz sitzt und beim Leser auch richtig ankommt.

Dort sollten mich meine Eltern und mein übrig gebliebener Bruder abholen. Bevor sie mich sahen, sah ich sie, durch eine große Scheibe, auf einer Bank sitzen. Um sie herum wurde gerannt, Heimgekehrte wurden begrüßt und geküsst, doch sie bewegten sich nicht, starren wie traurige Steine auf den Ausgang. Ich hatte mir diese Heimkehr so anders vorgestellt.

Es war reines Glück, dass ich zu meinem Geburtstag Meyerhoffs Buch „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war“ bekommen habe, und (relativ) rasch bemerkte, dass es sich hier um einen zweiten Teil handelte. Um der Chronologie zu folgen, habe ich mir schließlich „Alle Toten fliegen hoch: Amerika“ besorgt und habe keine einzige Seite bereut. Meyerhoff ist offenbar nicht nur ein grandioser Theaterschauspieler, sondern auch ein begnadeter Schriftsteller. Seine Worte, sein Erzählrhythmus, seine Mischung aus Beklommenheit und überbändiger Freude lässt dieses Buch zu dem werden, was nur wenige Bücher wirklich schaffen: Eine berührende Geschichte über das Erwachsenwerden. Nicht kitschig, nicht beladen mit dem gewohnten „Weltschmerz“-Gehabe. Einfach nur ein unglaublich gutes Buch. Und jetzt natürlich folgt Teil 2.

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Joachim Meyerhoff

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Kiepenhauer & Witsch

Preis: 10,30 Euro (ebook: 9,49 Euro) (Info zu Partnerlinks)
320 Seiten
ISBN: 978-3-462-04436-2

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