Es ist diese eine Sekunde zwischen Kuss und Ohrfeige, als ihr das iPhone aus der Hand gleitet und zersplitternd über den Asphalt tanzt. Sie versucht mit den angeschlossenen Kopfhörern noch das Schlimmste zu verhindern, doch die Anziehung ist stärker. Viel stärker als sie zwischen uns beiden jemals war. Ich spüre noch ihre Hand auf meiner Wange, während sie vor mir kniet und flucht und fast schon heult, weil da mal eben 700 Euro in noch unbezahlten Raten zu Bruch gegangen sind. Ich sollte mich zu ihr knien, aber stattdessen stehe ich nur hier und bereue zumindest dieses Mal nichts
„Hilfst du mir?“
– „Was kann ich denn jetzt noch tun. Der Bildschirm ist hin.“
„Ich weiß ja, aber.“
– „Aber was?“
Irgendwann habe ich genug, so von oben herab zu ihr zu sprechen, greif ihr unter den Arm und helf ihr wieder hoch. „Es ist hin“, diagonistiziere ich ein weiteres Mal und mein dabei nicht nur das iPhone, greife mir noch einmal auf meine Wange, die immer noch die Wärme speichert, die ihre Berührung bei mir ausgelöst hat. „Ich sollte gehen“, sage ich und bewege mich trotzdem nicht; nicht, weil ich sie noch einmal küssen möchte, nicht weil ich noch einmal geohrfeigt werden möchte und auch nicht, weil ich mir wünsche, dass das iPhone beim nächsten Sturz voll und ganz zerbricht. Ich sollte gehen, weil hier nichts mehr zu holen ist. Eine Abfuhr ist eine Abfuhr ist eine Abfuhr. Nur ist es diesmal anders. Eine Ungewissheit in ungenießbaren Dosen, ein Stolpern ohne Ende und ein Heimweg mit Coldplay.
„Rauchen wir noch eine?“
– „Okay.“
„Hast du eine für mich?“
– „Immer doch.“
Es ist drei Uhr früh und es ist immer noch hell. Dieser Sommer ist verrückt, ich weiß und mit jedem einzelnen verwahrlosten Körper, der um diese Uhrzeit noch durch die Straßen zieht fühle ich mich wohler hier. Es ist keine Genusszigarette, dieses Ding, sondern vielmehr ein Abschied. Menschen sterben, Menschen küssen und ohrfeigen sich, Menschen schießen sich mit einer Pistole in den Mund, bis das Gehirn hinten herausplatzt. Wenn man es so sieht, kann ich ja froh sein, dass es nur eine Kussohrfeige ist, so ohne Liebe, ein Nimmerwiedersehen ohne Hoffnung, ein „Kontakt löschen?“ für Anfänger. Und hätte ich sie nicht geküsst, wäre ich träumend nach Hause gefahren, in meine Singlewohnung, die manchmal zu leer und manchmal leider auch zu voll ist und hätte mir vorgestellt, wie es wäre mit uns und wie sie küsst und mich berührt. Das wollte ich verhindern. Ich wollte es wissen und es hat ja schließlich auch geklappt.
Sie hätte auch einfach den Kopf wegziehen können, oder „Nein“ sagen, als sie meine Absichten erkennt, sie hätte den Kuss auch nicht erwidern können, aber stattdessen hat sie mich geohrfeigt. Deshalb auch diese kleine Genugtuung, die Sache mit ihrem Handy. Sie lässt den Kuss zu, und schenkt mir dann die Ohrfeige, die viel mehr sie verdient. Wenigstens bin ich jetzt nicht dieser Typ, der träumend nach Hause geht, sondern sie ist es. Sie überlegt jetzt nun, was es zu bedeuten hat, sie versucht mit ihrem zersprungenen Display noch Coldplay auf Spotify rauszusuchen, während ich eine motivierende Sommerplaylist starten kann, denn ich habe meinen Schritt gewagt. Ich schnippe die Zigarette weg, in Richtung Kanaldeckel, hüpfe von diesem übergroßen Blumentopf herunter. „Tschau“, sage ich und meine es nicht so. Ich werd mich nicht wieder melden, keine Sorge.