Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke • Joachim Meyerhoff

Ein junger Mann wird erwachsen, will offenbar Schauspieler werden und zieht dafür bei seinen Großeltern ein

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Joachim hat bereits eine Zivildienststelle im Krankenhaus, als das für ihn vollkommen Überraschende passiert: Er wird auf der Otto-Falckenberg-Schule aufgenommen, obwohl er beim Vorsprechen mit seinem Monolog aus „Dantons Tod“ doch offenbar versagt hat bzw. knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist. Er würde also Schauspieler werden und ist sich dabei von Beginn an nicht so sicher, ob es denn das überhaupt sein soll. Aber so oder so muss er dafür von Homburg nach München zu seinen Großeltern ziehen.

Seine Großmutter, selbst Schauspielerin und pensionierte Lehrerin an Joachims Schauspielschule und sein Großvater, der große Philosoph, leben ein kontrolliertes Leben. Vor allem der übermäßige Alkoholkonsum, vom Frühstücks-Champagner bis zum Schlafgeh-Cointreau. Alles hat seine Ordnung und das schon seit Jahrzehnten. Selbst die Urlaubsfotos zeigen Jahr für Jahr die selben Motive und auch die Möbel verlassen niemals ihren angedachten Platz. Für den jungen Mann ist es eine Paradies und zugleich doch auch ein Gefängnis.

Es ist allem diese Mischung, die ihn oftmals zur Verzweiflung brachte: Das Misslingen vieler Dinge an der Schauspielschule, die langsame Erkenntnis, dass man nicht bühnentauglich atmen, lachen, weinen, singen oder was auch immer könne. Und die Großmutter, die aus allem etwas Theatralisches macht, die die Rolle der Großmutter aus vollster Überzeugung ausfüllt und Zitate, die Joachim einzustudieren versucht mit einer solchen Brillanz nicht nur rezitiert, sondern regelrecht zerstört: Indem sie all das nicht nur einfach aufsagt, sondern spielt, sich die Sätze zu ihren Sätzen macht, saugt sie jeglichen Spielraum für ihren Enkel heraus. Der bewundert sie zwar dafür, scheitert aber regelrecht daran, auch nur annähernd Ähnliches zu schaffen.

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Joachim Meyerhoff
geboren 1967 in Homburg, aufgewachsen in Schleswig

Weitere Werke:

Auch in seinem dritten (und eventuell letzten) Buch seines sechsteiligen Erzählzyklus „Alle Toten fliegen hoch“ erzählt er zwei unterhaltsame Geschichten und verwebt sie spielerisch miteinander. Einerseits seine Erlebnisse, sein Misslingen, sein Stolpern durch die Schauspielschule, die ihn am Ende ratloser zurücklässt als er es sich gewünscht hat. Andererseits schließlich das Leben bei seinen Großeltern, sein Leben im „rosa Zimmer“, sein rational denkender, recht schweigsamer Großvater und die übertrieben theatralische Großmutter, die Liebe der beiden zueinander und das Zusammenleben zweier doch ganz unterschiedlicher Generationen.

War „Alle Toten fliegen hoch: Amerika“ eine einzelne Geschichte über Joachims Auslandssemester in den USA und „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ eine wilde Zusammenstücklung unzähliger verschiedener Geschichten, so ist dieses Buch schließlich die perfekte Mischung. Die berührendsten Momente sind oftmals jene, in denen er von der Magie der Schauspielkunst überwältigt wird: Wenn er seinen Kollegen zusieht und sprachlos mitgerissen wird, wenn seine Großmutter mal wieder in eine Rolle hineinkippt. Da findet Meyerhoff eine wunderbare Sprache, um seine Eindrücke zu beschreiben. Immer wieder auch tauchen Erfahrungen aus seiner Kindheit und Jugend auf, der Tod seines mittleren Bruders, sein Leben am Gelände einer Psychatrie, die Trennung seiner Eltern. Er schafft es, den Leser auf einer aufregende Reise nach München und in das Leben des Autors selbst mitzunehmen.

Schließlich zeigt das Buch auch, dass die ständige Zukunftsangst der „Generation Y“ nichts Neues ist. Ist die Schauspielschule das Richtige für ihn? Und was sind eigentlich die Stärken des jungen Joachim?

Trotzdem hielt ich meine Aussichten, ein Engagement zu bekommen, für äußerst gering. Wollte ich das überhaupt? War es für ein Medizinstudium schon zu spät? Was sollte ich nur tun? Kann man als Schauspieler arbeiten, wenn man nur dann gut ist, wenn man nächtelang nicht geschlafen hat oder in Glitzerkleidern auftritt?

Ich habe lange auf dieses Buch gewartet: Seine beiden bisherigen Bücher haben mich gefesselt, mich bewegt und berührt. Und selbst der Titel, ein Werther-Zitat, ist so wunderbar gewählt. Wer kennt sie nicht, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. Es ist irgendwie schön zu lesen, dass ein heute renommierter Bühnenschauspieler und Regisseur vor Selbstzweifeln fast zerbrach, nur schwer hineinfand in das, was nun seine Leidenschaft ist. Das regt Hoffnung und zeigt, dass nicht nur die Überzeugtesten ihr Ziel erreichen, sondern auch jene, die Überraschendes wagen oder denen das Glück vielleicht auch einfach nur mal hold war. In einer Gesprächsrunde erzählt er über das neue Buch und bringt dabei mitreißend-lustige Anekdoten mit:

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Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Kiepenhauer & Witsch

Preis: Hardcover 21,99 Euro, ebook: 18,99 Euro) (Info zu Partnerlinks)
348 Seiten
ISBN: 978-3-462-04828-5

Transparenz: Mir wurde auf Anfrage ein kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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