Sieben Jahre.

SiebenJahre

Ein Jahr habe ich gebraucht, um deine Abwesenheit zu akzeptieren. Habe mit der Realität gehadert, weil sie nicht meine Realität werden sollte. Niemals sollte das wirklich einkehren, was in Wahrheit schon monatelang so war. „Du musst darüber hinwegkommen“ waren Worte, die ich mit einer ausholenden Hand stets wegzuwischen versuchte, bis sie sich eingebrannt hat in den alten Tisch aus Birnenholz, bis ich die Realität spüren konnte, die deiner Abwesenheit Konturen verlieh.

Zwei Jahre lang habe ich noch jeden Tag an dich gedacht. Es waren meistens glückliche Momente, die mit einem kurzen Wimpernschlag, während des Augenblicks einer Sekunde zunichte gemacht wurden. Weil du plötzlich wieder da warst, in meinen Gedanken, und du mir zu Gänsehaut verhalfst, zu einem Gefühl, zu einer Gefühlsregung, wie ich sie lange Zeit vermisst habe. Und doch war ich jedes Mal froh darüber, dich nicht zu vergessen. War froh, noch etwas für dich zu empfinden, auch wenn es traurig und schmerzhaft, nicht endenwollend und einnehmend war. Du warst immer noch da.

Drei Jahre später habe ich dich das erste Mal vergessen. Du hattest dann keinen Platz mehr in meinem Kopf, zwar nur für einen Tag, der mit so vielen anderen Eindrücken gespickt war, aber immerhin. Erst nach dem Aufwachen, am Tag darauf, wurde ich mir der Tatsache bewusst. Und spürte dich noch intensiver, als ich es mir jemals zuvor auch nur ausdenken konnte. Manchmal ist erst das fehlende Erinnern der Punkt, wo man wieder zueinander findet.

Das vierte Jahr war das schlimmste von allen. Vermissen hat offenbar einen Drei-Jahres-Zyklus. Ich fühlte mich zurückgeworfen um all diese Jahre. Um all diese Erfahrungen. Plötzlich fand ich dich an den ungewohntesten Stellen, in einer Ecke stehend, unter einer Menschenmenge und ganz oft einfach nur ganz tief unter meiner Haut. Als würdest du mich begleiten, immer und überall. Und so schön dieser Gedanke war, so sehr machte er mir auch Angst. Weil ich dich nicht erdrücken wollte, wenn ich mal mit meiner Haut zu nah an einer Wand streifte.

Fünf Jahre später habe ich viel über dich geredet. Du warst mein allerliebstes Gesprächsthema. Es überraschte mich selbst, weil das doch Schmerzen verursachte und Schmerzen ja grundsätzlich als nichts Positives angesehen werden. Aber ich stellte mich ihnen, ich habe sie sozusagen heraufbeschworen, wie ich auch  dich jedes Mal wieder heraufbeschwor. Nicht nur um des Schmerzens willen. Nein, vor allem wegen dir. Eigentlich hatte ich seit fünf Jahren alles nur wegen dir gemacht.

Im sechsten Jahr wurde der Plan des vollkommenen Vergessens endgültig ad acta gelegt. Man soll sich nicht mit Dingen aufhalten, die unmöglich sind. Und du warst unmöglich aus meinem Kopf zu bekommen, aus meinem Körper, aus meinem Ich. Du warst in mir drin,  wie dieser sagenumwobene Fußabdruck in meinem Herzen, nur eben am ganzen Körper, ganz viele Spuren von dir, unendliche Spuren. Wie hätte ich dich da jemals auch nur ansatzweise vergessen können. War es jemals mein Wunsch, habe ich mich jemals wirklich angestrengt, um diesem Ziel näher zu kommen? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß so vieles nicht mehr.

Sieben Jahre. Sieben verdammte Jahre später sitze ich hier. Du bist immer noch nicht wieder da, du bist immer noch nicht schon weg. Du bleibst, das hast du mir mit Nachdruck gezeigt. Eigentlich hätte der Vermissen-Zyklus wieder von Neuem beginnen müssen, das habe ich zumindest erwartet. Erwartete das Schlimmste, aber in Wahrheit bist du immer noch nicht nicht. Du bleibst und ich will das wahrscheinlich viel stärker als du. Will nicht loslassen, will nicht wahrhaben, will dir keinen Abschied erlauben. Ich hoffe, du verzeihst. Selbst nach diesen sieben verdammten Jahren.

Bildquelle: NamensnennungKeine kommerzielle NutzungWeitergabe unter gleichen Bedingungen Bestimmte Rechte vorbehalten von Recovering Sick Soul

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert