Nils Ketterer • Wortheld April 2015

Ich hole sie vor den Vorhang: Wer sind diese Worthelden, die mich mit ihren literarischen Texten auf ihren Blogs verzaubern? Diesmal hat Nils meine zehn Wortheld-Fragen beantwortet.

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Wer bist du und wenn ja, warum?

Ich sage immer, dass ich ja ein ganz normaler Junge bin. Aber das stimmt nicht. Ich bin gezeugt auf einem Boot in der Karibik, geboren an einem See in Mitteleuropa, und langsam wird mir klar, dass ich seit dem nichts anderes bin als ein verdammt kleines Papierboot, das jemand kurz vor der Wende auf diesen einen großen Fluss gesetzt hat. Immer in der Hoffnung, dass ich so oft es geht ans Ufer gespült werde, bevor ich zu nass bin und untergehe wie ein Toast in der Badewanne. Nein, Boote sind nicht dafür gebaut, sicher im Hafen zu liegen. Toasts auch nicht. Aber ich kriege das schon irgendwie hin.
Ich habe keine Ahnung, warum ich so bin. Ein Grund ist wohl, dass mein biologischer Vater ein Segler ist, den ich erst vor Kurzem kennengelernt habe. Dass der ganze Typ ein Depp ist, hat nichts daran geändert, dass sich meine Familie nun um den Erdball spannt.

Und wie viel davon steckt in deinen Texten?

Manchmal ganz viel, manchmal ganz wenig. Aber immer ein bisschen. Wer etwas anderes sagt, der lügt. Wenn ich gerade nicht darüber schreibe, wie es ist, wenn dir dein Date auf den Parkett pinkelt, oder über die unendliche Ernsthaftigkeit des Erwachsenwerdens, gehen meine Geschichten viel um die Erfahrung, die es zu machen gilt. Um den Mut, den es dafür braucht. Dafür mache ich Dinge wie alleine monatelang quer durch die USA zu trampen. Ich bin süchtig nach Leben, nach mehr, nach echt, nach wahr und dreckig. Nach Dachterrassen und Sonnenuntergängen. Nach Lippen und Wind im Gesicht. Nach dem ersten Schritt aus dem Flugzeug, interessanten Menschen, und dem Moment, wenn der Bass einsetzt. Wenn ich diese Dinge einmal gespürt habe, ist es ganz leicht, sie aufzuschreiben. Deswegen versuche ich so viele Erfahrungen wie möglich zu machen. Live first, then write. Write drunk, edit sober. Ich mag das Unseriöse und politisch Unkorrekte. Ich glaube es gibt keinen Beweis dafür, dass das Leben so ernst ist. Außer Steuererklärung. Die ist der Ernst des Lebens. Ich liebe die großen Höhen und die Tiefen. Und die unendlich faszinierende Leere dazwischen. Ihr wisst schon, die mit Nudelsalat. Ich liebe es, wenn sich der fette Typ am Valentinstag in der U-Bahn vordrängelt und etwas weiter jemand auf den Boden kotzt und Rosenblätter darüber verteilt und dann etwas später dann dort ein Warnschild steht mit „Achtung Rutschgefahr”. Zum Schluss muss ich leider enttäuschen: Ich habe aufgehört, über den Realitätsgehalt meiner Geschichten zu sprechen, nachdem ich deswegen Menschen aus meinem Leben verloren habe. Aber, guter Versuch, Herr Leitner.

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Seit wann und warum schreibst du eigentlich?

Seit ich es kann. Aber ich bin leider nie eine Schreib-Maschine gewesen. Ich bin keiner der sich hinsetzt und wie Salinger oder Kerouac einen Roman runterklopft. Meist ist es aus Selbstmitleid, oder wenn ich etwas überhaupt nicht verstehen kann. Eine Art, mir die Welt zu sortieren. Freud würde sagen, ich schreibe, weil mir meine Mutter nie richtig zugehört hat, wenn ich sprach. Aber Freud würde auch sagen, dass wir ihn zu inflationär benutzen und bitte in Ruhe lassen sollen. Geschichten sind für mich alles, was war. Alles, was ist. Die einzige Weg mit der Erinnerung klar zu kommen. Denn Erinnerung ist eine verdammte Lüge.

Was macht dich sprachlos?

Wenn jemand über das nachgedacht hat, was er gerade gesagt hat. Ich schweige dann, weil ich das nicht kaputt machen will. Gute Sätze machen mich sprachlos. Oder wenn ich ‚wow‘ sagen muss. Oder eine große Stille, so wie die unten im Grand Canyon. Oder wenn ein altes Paar im Gleichschritt die Straße hinunter spaziert. Dann denke ich darüber nach, wie das passiert ist. Sprachlosigkeit erfasst mich auch, wenn ich die letzte Seite im Buch gelesen habe und es zuklappe. Oder wenn mein Nutellabrot mal nicht auf der Nutellaseite landet.

Wo befindet sich dein kreativster Ort?

Den gibt es nicht, leider. Sonst würde ich ja immer dorthin gehen, wenn ich schreiben will. In fahrenden Vehikeln mit Motor schlafe ich blöderweise sofort ein. Wie ein Huhn, das man kopfüber hält. Oder ein Fisch, dem man ein nasses Handtuch über die Augen legt. Der ganze kreative Prozess passiert bei mir meistens eh immer vorher und immer genau dann, wenn ich eigentlich gerade anderes zu tun hätte. Beim Duschen, beim Joggen, bei Rotwein, beim Alleinsein, in Gesellschaft (Und dann denken immer alle: Wieso tippt der Arsch die ganze Zeit in sein Handy!). Aber neulich saß ich in einem öffentlichen Bus, der kurz vor Mitternacht ein nicht beleuchtetes, pechschwarzes Bergfeld hinunter gefahren ist. Wie mit der Achterbahn in die Hölle. Das war schon gut. Aber um ein paar Klischees zu reiten: Ich lebte schon einmal in diesen 9-Quadratmetern unter einem Dach in Paris. Mit Gitarre, Klavier, Notizbuch, Toilette im Zimmer, von der aus man den Eiffelturm sehen konnte. Oh, und ich fahre im Sommer in eine Hütte in Schweden. Mit Holzofen, Hackstock, Whiskey, und See zum Angeln, und schreibe dort mein erstes Buch fertig. Gilt das?

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Wer oder was inspiriert dich?

Meine Fehler. Wenn ich hinfalle. Wenn ich mich an kalten Schultern verbrenne. Ein paar Bücher, ein paar Stücke Musik. Ein paar Menschen. Ein paar Katzenvideos. Knisterndes Feuer. Das Video von Jason Russel, dem Kony-Initiator, wie er nackt, schreiend und masturbierend auf einem Bürgersteig in LA herumhüpft. Aber hauptsächlich meine Fehler.

Wie viele Entwürfe verstecken sich in deinem Blog?

Keine. Ich habe acht Notizbücher, voll mit Gedanken, Geschichten und Sätzen. Dazu unzählige Megabytes in Sprachmemos und digitalisierter Textform in denen ich den Nils von gestern und den der letzten Jahre mit mir herum schleppe. Sie flüstern mir ständig ins Ohr: Schreib mich! Tu was! Dieses Gefühl lähmt mich mehr als alles andere. Ich habe das Gefühl, wenn ich diese Memos verlieren würde, würde ein Teil von mir sterben. Ich habe aber trotzdem keine Kopien gemacht. Vielleicht wünsche ich mir insgeheim einfach nur, all das zu vergessen und dort weiter zu machen, wo ich jetzt bin. Am besten, ich schreibe mir das erstmal auf …

Bist du kreativer, wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?

Selbstmitleid funktioniert sehr gut. Wenn du glücklich bist und schreibst, will das niemand lesen. Und wenn du traurig bist und schreibst, denken alle, du bringst dich gleich um. Dann schicken sie dir Facebook-Nachrichten mit „Das wird schon wieder” und denken, das hilft. Ich kann es nicht sagen. Aber ich kann sehr gut schreiben, wenn ich das Gefühl habe, dass ich gerade an nichts anderes denken muss. Ist leider sehr selten.

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Was ist dein ganz persönlicher, selbst geschriebener Herzenstext?

Texte sind ja meist Momentaufnahmen. Es sei denn, du schreibst zufällig einen Klassiker (wenn mir das mal passiert, meine Güte, dann lasse ich mich taufen). Deswegen habe ich – wie wahrscheinlich jeder, der schreibt – ein Problem mit meinen früheren Texten. Aber Die unendliche Ernsthaftigkeit des Seins”  ist, wenn man es so will, mein Lieblingstext. Aber so gut finde ich mich eigentlich gar nicht. Ich lese lieber Sachen, die andere geschrieben haben. Bukowski zum Beispiel oder Helge Timmerberg.

Welche drei literarischen Blogger möchtest du empfehlen?

Also, ich finde Ashley Winklers Buchstaben sehr lesenswert, weil ich niemanden kenne, der so ungefiltert schreibt, und das als Instagram-Starlet, der Heimat der Filter. Ich finde außerdem, Google ist der beste Poet, den wir heute haben: http://www.googlepoetics.com/Im Gegenteil hat einen sehr guten Filter für Texte (ich geb’s zu, ich lese das). Die Fotos dieser Franzosen finde ich auch sehr literarisch http://imperception-changement.tumblr.com/ , http://www.nousavonsuncertainmodedevie.com/index.php?/report/berlin/ . Und ich mag sehr, was hier auf diesem Blog passiert. Waren das jetzt drei? Wunderbar.

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