Du singst schön.

Dusingstschön

„Du singst schön.“ Gratuliere. Großartiger erster Satz dieser Konversation deines Lebens. Eigentlich wolltest du ja nur in diese Bar gehen, alleine, auf ein, zwei Bier, etwas armselig, aber immerhin. Immerhin verkriechst du dich nicht in deiner Wohnung, die man liebevoll auch Höhle nennt und die sich über einen unangemeldeten Besuch eines Staubsaugers sichtlich freuen würde. Eigentlich wolltest du ja nur diese ein, zwei Bier, nein. Eigentlich wolltest du ja gleich wieder abhauen, als du den Flyer in die Hand nahmst und auf den heute stattfindenden Karaokeabend aufmerksam wurdest. Aber du hast mit ein, zwei Schluck deines ersten Biers den Entschluss gefasst, dich nicht unterkriegen zu lassen. Nicht noch weiter. Nicht von schlechter Musik und auch nicht, dass das zweite Bier viel zu rasch nach dem ersten Bier kam.

Und dann war da sie und du hast nur mehr auf die kleine Bühne geblickt und der Geräuschpegel hat sich gelegt, du weißt nicht ob für alle oder nur für dich, aber sie hat gesungen. Sie hat nicht nur die Zeilen von dem Bildschirm runtergelesen, sie hat wirklich gesungen. Traf die Töne, sie wie ihre Präsenz dich traf. Dein Herz hüpfte. Nicht hoch, vielleicht nur ein paar Millimeter, aber du weißt: Es hat sich bewegt. Die Schlücke werden kürzer und öfter, du willst den ganzen Abend nur mehr sie hören, willst ihr das sagen und weißt, dass all das nur mit mehr Bier möglich sein wird. Sie hat vielleicht sogar einmal direkt zu dir her gesehen, du bist dir nicht ganz sicher, aber insgeheim hoffst du, dass du es weißt. Der Applaus nach ihrem Lied ist überwältigend, zumindest deine Hände klatschen rhythmisch und laut. Wenn du diese johlenden Pfiffe könntest, die man oft bei Konzerten hört und die dich normalerweise stören, du würdest pfeifen. Weil es überwältigend war und sie verlässt die Bühne, du nimmst einen abschließenden Schluck, sie geht an dir vorbei und während sie dich kurz ansiehst sagst du es.

Sie lächelt. Vielleicht weil sie es weiß, vielleicht weil es sie freut, dass es jetzt auch jemand anders erkannt hat. „Dankeschön.“, sagt sie. ‚Darf ich dich auf ein Getränk einladen?‘, fragst du und sie nickt. Ihr setzt euch gemeinsam an die Bar, die Schönheit hat sie von der Bühne mit heruntergenommen, sie sitzt jetzt direkt neben dir und du versuchst ständig nicht so auszusehen, als hättest du noch nie etwas ähnlich Schönes gesehen. ‚Kommst du oft hierher‘, fragt sie. Du schüttelst den Kopf, bist doch nur zufällig hierhergekommen, weil es von außen gemütlicher aussah, als es drinnen bis jetzt war. Und sie erzählt ihm von der Aufregung vor diesem Auftritt und warum sie dieses Lied ausgewählt hat und wo sie herkommt und wer sie ist. Neugierig hörst du zu und wirfst hie und da ein paar Worte ein, vielleicht etwas kontrollierter als bei deinem ersten Satz und lächelst sie an, willst dabei trotzdem halbwegs cool wirken und hast keine Ahnung ob dir das gelingt.

Der Abend geht voran und die anderen Menschen, die sich ans Mikro wagen, erzeugen fast Ohrenschmerzen bei dir, aber du hältst durch. Insgeheim hörst du immer noch ihre Stimme, als wäre sie es, die jetzt singen würde. Ihr lacht, und du sagst ‚Du bist schön.‘ und sie lächelt und du auch. ‚Ich hätte dich fast nicht getraut, dich anzusprechen‘, gibst du zu und sie sagt, dass sie sich freue, dass ich es trotzdem getan habe. Die Zeit verläuft viel zu schnell, du bist glücklich, bist überglücklich, so glücklich wie schon lange nicht mehr, bis der Kellner dich fragt: „Darf’s noch etwas sein?“ Und du blickst fragend zu ihr und sie ist nicht da, ist nie da gesessen und du schüttelst den Kopf. „Zahlen, bitte.“ Und mit einem Schlag erkennst du, dass „Du singst schön.“ auch der letzte Satz dieser Konversation deines Lebens geblieben ist. „Bitte einfach nur zahlen.“

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