Ich gehe durch die Straßen und Gassen der Stadt, die mir vor Monaten noch so fremd vorkamen. Jetzt sage ich „Heimat“ oder „Nachbarschaft“ zu ihr, und kenne jedes noch so kleine Loch in dem sich bei Regenwetter Pfützen sammeln. Ich kenne die Ampeln und weiß in welchem Takt ihr Mechanismus geht. Ich hab mich in dieser Stadt verliebt, und auch in ihr Häusermeer.
An diesem Sommerabend komme ich mir jedoch das erste mal seit langem wieder verloren vor. Alles andere um mich herum kommt mir weit weg und irgendwie leblos vor, als wäre ich bloß in der Erinnerung eines anderen Menschen gefangen. Ich habe kein Ziel vor Augen, sondern bahne mir bloß anhand eines inneren Bauchgefühls den Weg durch Gassen, Winkel und Straßen. Alles kommt mir laut und hektisch vor, obwohl nur wenig Verkehr herrscht, und schon die ersten Sterne am Firmament aufblitzen. Langsam neigt sich die Nacht über die Stadt, doch dies bedeutet noch lange nicht, dass damit auch Ruhe Einzug hält.
Vorhin bin ich einfach so aus meiner Wohnung hinausspaziert. Habe ganz ruhig einen Fuß vor den anderen gesetzt, um alle Zweifel hinter mir lassen zu können. Alles, dass mich regelmäßig aus meiner Umlaufbahn wirft. Alles, was zwischen uns steht, und uns daran hindert einfach im Regen miteinander zu tanzen. Alles, dass ich nicht in Worte fassen kann und unausgesprochen in meinem inneren Chaos liegt, und nie daraus ausbrechen können wird.
Im Lift hat mich noch mein Spiegelbild neckisch angesehen, doch hier draußen gibt es nichts, in dem man sich spiegeln könnte. Alle Gedanken an die letzten Tage verblassen mit jedem weiteren Schritt ein bisschen mehr. Kräftige Farben werden zunächst zu Pastelltönen, und erinnern an einen ausgeblichenen Regenbogen, bis sie ganz zu Nebelschwaden verkommen.
Ich gehe und wünsche mir, dass sich über mir Regenwolken taumeln würden. Doch in dieser klaren Nacht ist kein Tropfen weit und breit in Sicht, der mir helfen würde einzelne Tränen zu verbergen, und sie selbst bloß als Regentropfen abzutun. Versuchen wieder innere Ruhe zu finden ist etwas, das mir immer Tränen abringt. Vielleicht wollen die Gedanken einfach abfließen, um so meinen Körper verlassen zu können, um eins werden zu können mit der Natur.
Innere Ruhe – wie verlockend dieser Wunsch ist und sich immer mehr in mir ausbreitet. Um ihn zu erreichen bin ich aus dem Haus gegangen. Um ihm im gleichmäßigen Gehen zu begegnen, und mich zu finden. Beruhigend die Welt in mich aufsaugen, damit ich in mir selbst nicht so viel Platz einnehme.
Ich beschließe mich auf eine Parkbank zu setzen, nur für einen Moment das Rauschen der Stadt in mich aufzunehmen. Obwohl Sommer ist, ist es eine kalte, windige Nacht, die durch die Straßen weht. Ich sitze auf der Bank und spüre das dumpfe Holz unter mir. Ich fühle ihre Leblosigkeit und erahne den früheren Baum, aus dem sie gemacht ist. Mir fällt Kafka ein, und wie er darüber schreibt zur Brücke zu werden. Ich sitze auf der Bank und wünsche mir selbst zur Bank zu werden. Zu einem Gegenstand, der nicht aus seiner Umlaufbahn geworfen werden kann. Der eher als eine Art Fels in der Brandung gilt für müde Wanderer der Welt.
Ich sitze auf der Bank und von irgendwo fällt ein Tropfen Regen auf meine morsch gewordene Nasenspitze.
Clara
Schreibt, kreiert Spiele für den öffentlichen Raum, stickt Bilder mit Motiven aus Film, Fernsehen und Computerspielen. Kopflastige Chaotin, die sich mit einem Philosophiestudium und ausgewählten Texten beschäftigt, und versucht aus innerem Wirrwarr Sterne hervorzubringen.
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Bildquelle: Bild zum Text – Bestimmte Rechte vorbehalten von Victor Bezrukov, Bild von Clara – © Philipp Ehmann