Für das Vergessen.

Für das Vergessen. Für das Vergessen auf Raten, für das Vergessen des Lebens.

Manchmal streikt sie, die Erinnerung, manchmal streikt sie einfach. Wenn ich mir die Einkaufsliste notieren möchte, die du mir vor wenigen Minuten noch gesagt hast und ich vieles bereits wieder gelöscht habe. Spurlos verschwunden. Und dann sehe ich diesen jungen Mann, in irgendeinem Delirium gefangen und erinnere mich an das eine Mal, als ich geholfen habe, und erkenne dabei, wie mir jetzt der Mut fehlt. Der Mut, Hilfe zu holen, nein, schon der Mut ihn zu fragen, ob es ihm gut geht. Es geht ihm nicht gut, und das weiß ich und daran erinnere ich mich. Immer und immer wieder. Und ich bin wütend. Wütend auf diese Feigheit, diesen Wunsch, nicht aus meiner eigenen Blase heraustreten zu wollen, sondern einfach weiterzugehen, nichts zu denken, obwohl ich weiß, dass die Erinnerung es nicht zulässt.

Wir gehen den Feldweg entlang, spazieren vor uns hin. Und plötzlich ein Funken, eine Erinnerung, diese Traurigkeit, die plötzlich Überhand nimmt. Weil Erinnerungen schmerzen können und sie es überfallsartig auch tun. Weil der Moment perfekt war und die Ernüchterung kommen musste. Weil die Sonne gerade den Horizont streichelt, die Welt in Nuancen taucht und das Vergessen keine Möglichkeit ist. Weil all das ein Teil von mir ist und mich trotzdem bremst. Mich trotzdem festhält, mich trotzdem zermürbt, wie sonst nichts auf der Welt.

Manchmal wünschte ich mir, ich könnte es nicht fühlen. Ich könnte dieses mulmige Gefühl, diesen Kloß im Hals, diese Scheiße in meinem Hirn ein für alle mal hinaustrommeln. Ich könnte die Augen schließen und alles ist weg. Aber es bleibt und es bleibt mit einer solchen Radikalität, mit einer solchen Wucht, dass nichts irgendwie hilft. Warum muss man ständig daran erinnert werden, was man verloren hat? Warum ist der Verlust die beständigste Quelle für Erinnerung? Warum ist die Vorstellung, was man tun könnte so viel mächtiger als die Realität, in der man einfach weitergeht?

Du siehst glücklich aus, vielleicht, weil ich mich doch noch an deine Einkaufsliste erinnern konnte, vielleicht, weil du es schaffst. Weil du einfach die Augen schließt und alles ist gut. Ich glaube es dir nicht und wahrscheinlich kannst du dir selbst nicht glauben. Jeder verliert, jeder versagt und jeder erinnert. Doch du lächelst, der Sonne entgegen, streichst über die Pflanzen des Feldes und beginnst ein bisschen zu tanzen. Und ich sehe dir schweigend zu, die Erinnerung vor den Augen, und lächle. Lächle, weil du so bist wie du bist und ich mich daran erinnern möchte. Daran erinnern, dass neben all diesen Bildern auch noch das Leben ist. Dieses verdammte Hier und Jetzt, das mich viel mehr fesseln sollte als das Vergangene. Ich lächle dir zu, und insgeheim tanze auch ich. Und möchte doch vergessen. Möchte Platz schaffen. Für meine Hoffnungen und Träume, für das Leben, das noch kommt. Für all die Erinnerungen, die das am Leben erhalten können, was irgendwann zwangsläufig verloren sein wird. Ich lächle dir zu und irgendwann wird auch das vergessen sein.

Bildquelle: Unsplash / Pixabay

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