„Genau! Ich sollte einen Lebensratgeber schreiben! Scheiße, ja! Das ist es.“, sage ich und stehe auf, weil ich einfach nur noch weg will. Raus aus diesem Café. Einen verdammten Lebensratgeber sollte ich schreiben.
Über Menschen, die verlieren, obwohl sie ja eigentlich die geborenen Siegertypen sind. Über Menschen die nicht rauchen, während sie sich eine Zigarette anzünden. Über Menschen, die viel Geld ausgeben, wenn sie fast keines haben und wenig, wenn mal wieder halbwegs genug am Konto ist. Ich sollte einen Lebensratgeber für genau solche Menschen schreiben und auf der ersten Seite würde dann stehen: „Ihr glaubt doch nicht wirklich, ich hätte eine Ahnung vom Leben? Aber danke für die 17 Euro 99!“ Dann würde man mich schließlich hassen: Zuerst nur die Leser, dann die Buchhandlungen, die das zuvor mit Plastik verschweißte Buch wieder zurücknehmen müssten und dann der Verlag, der diesen Spaß zumindest einmal ausprobieren wollte, aber vom Ausmaß der negativen Reaktionen schließlich doch eher überrascht ist.
Und ich würd dann wieder hier bei dir sitzen, in diesem Café, während du mir erzählst, wie toll nicht dein Leben ist, und wie wenig ich aus meinem machen würde und ich bemerke, wie dieser Gummiball namens „Vorwürfe“ in meinem Kopf einfach nicht mehr zu springen aufhört. Selbst wenn ich auf Durchzug schalte, bleibt trotzdem etwas hängen. Vor allem dein Lächeln und die ständige Frage, ob du es einfach nicht merkst, was du da sagst, was du da anrichtest. Ob du, so erschreckend es auch sein mag, wirklich so dumm bist, so ahnungslos verletzend, so naiv-schmerzhaft für deine Umgebung.
Ich bin nur auf die Toilette gegangen, weil ich nicht ganz gehen wollte. Mit eiskaltem Wasser wasche ich mir mein Gesicht; ich atme schwer, weil ich so aufgeregt bin und es mich ärgert, dass es mich so ärgert. Und wahrscheinlich ist es auch nur dieser Neid. Weil bei dir alles zu klappen scheint, weil du nie diese großen Ziele hattest, sondern nur diese kleinen erreichbaren, und wahrscheinlich ist das auch nur eine Lüge, die ich mir einrede. Aber du bist glücklich mit all deinem Erreichten, bist vollkommen zufrieden und siehst mich immer nur als den Getriebenen. Wahrscheinlich hattest und hast auch du heute noch die großen Träume, die ein jeder Mensch haben sollte, aber du lebst mit ihnen und bist nicht ständig rastlos, weil du ihnen nachjagst. Du bist so ein verdammt genügsamer Mensch, das beschreibt dich so perfekt, dass ich, als ich zurück zu unserem Tisch gehe, wo du gerade das Restgeld nimmst und deine Geldbörse einsteckst, es wiederhole: „Du bist so ein verdammt genügsamer Mensch.“ Und du bist wegen diesem Satz nicht wirklich erschrocken, wahrscheinlich weißt du das ja auch selber; stattdessen bist du viel mehr erschrocken, weil du geglaubt hast, ich wäre längst gegangen. „Ich dachte du wärst schon längst gegangen“, sagst du und ich schüttle den Kopf. „Ich bin nicht wie du, weißt du? Ich werde das auch nie sein. Ich werde nie da sitzen können, bei einem Kaffee mit einer Freundin und plaudern könnten über die aktuellen Befindlichkeiten, ohne gerade im Kopf über alles, alles, über verdammt nochmal alles Mögliche nachzudenken.“
„Das versteh ich ja. Und sorry, die Sache mit dem Lebensratgeber. Ich hab das ja lustig gemeint, weil du auf alles eine Antwort weißt, aber sogar selber sagst, dass du nicht zufrieden bist mit deinem Leben.“
– „Weißt du, das ist ja meine Angst.“
„Was?“
– „Dass ich ein grandioser Theoretiker bin, aber auf ewig an der Praxis scheitern werde.“
Ja, das ist es. Ich bin ruhelos und zielstrebig und gleichzeitig so verplant und verloren. So ahnungs- und mutlos. So aufgeregt und feig, so mutig und verträumt. Ich bin dieser elendige lebendige Gegensatz, dieses Paradeexemplar der unsäglichen Generation Maybe. Ich fühle mich überaus talentiert, habe aber stets die Angst zu versagen. Habe schon so viel Tolles geleistet, glaube aber immer, für alle unterqualifiziert zu sein. Ich sage das eine, und mache das andere. Ich hasse mich deshalb und liebe aber auch meine Eigenheiten. Und jeder der mich verstehen will, glaubt es zu tun, dabei weiß ich ja selber nicht, was ich von mir halten kann.
„Das ist meine Angst“, sage ich. „Du hast schon bezahlt?“
– „Ja, hab ich. Willst du denn jetzt wirklich gehen?“
„Ja“, sage ich und bleibe sitzen.
So wie immer.
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Ein wirklich toller Beitrag und ich habe mich tatsächlich wiedererkannt darin. Und meine Schwester. Ich bin die Person, die nicht geht auch wenn sie eigentlich gehen will. Die Person, die viel will, nicht so genügsam ist. Und die auch ein wenig neidisch ist, auf all die Menschen, die bereitwillig Träume aufgeben, ihr Leben leben und damit einfach glücklich werden können. Weil es so ist wie es ist. Und weil sie es nehmen wie es ist.
Ein schöner Beitrag.
Liebe Grüße
Anna