Was, wenn die eigene Stimme unerhört bleibt.
Was, wenn man durch einen Unfall plötzlich ans Bett gefesselt ist, in irgendeinem Krankenhaus. Die Erinnerung erst langsam zurückkehrt, an die Lichter, den Unfall. Wenn man um Hilfe ruft, dass eine Schwester kommt, oder ein Arzt und man endlich erfährt, was mit einem los ist. Aber niemand einen hört. Wenn Ärzte und Krankenschwestern im Zimmer sind, aber all die gesprochenen Worte nicht bis zu ihnen gelangen. Wenn dann selbst die eigene Frau nur mehr weint und nicht auf all die Fragen reagiert?
Jeanne Winter
Weitere Werke:
- Rotkäppchen war gestern (2012)
- Sünde (2012)
Winter hat mit „Gefangen“ eine kleine Kurzgeschichte zu eben diesem Thema geschrieben. Über einen Mann, Vater eines Kindes, verheiratet, der durch einen Autounfall beinahe aus dem Leben gerissen wird. Der aber doch überlebt, mit schweren Kopfverletzungen und Querschnittslähmung als Resultat. Der der Welt noch so viele Fragen stellen möchte, aber niemand will ihn hören. Niemand kann ihn hören. Ein eigentlich sehr spannendes Thema, dass viel zu selten erst literarisch behandelt wurde. Doch Jeanne Winters Kurzgeschichte (gerade einmal rund 1900 Wörter kurz) schafft es nicht, eine wirkliche Spannung aufzubauen. Als die Beklommenheit Seite für Seite zuzunehmen droht, kommt plötzlich der Schwenk zu seiner Frau und ihren Gedanken und dann ist auch schon wieder Schluss damit. Ist vielleicht auch ein literarisches Stilmittel, aber das Ende des Buches am Höhepunkt der Spannung einzubauen lässt einen ganz einfach oft sehr unbefriedigt zurück.
Dabei wählt Winter eine sehr eindringliche Sprache. Man kann sich beinahe in diesen Mann namens Dominic Flamme hineinfühlen. So gern man es auch nicht müsste. Auch wenn Flamme, aufgrund der Tatsache, dass er von allen ignoriert wird, unerhört bleibt, immer verzweifelter wird, und dabei zu fluchen beginnt und mit Schimpfwörtern um sich schmeißt. Wäre – meiner Meinung nach – nicht unbedingt notwendig gewesen. Und macht die Hilfe- und Wutschreie, wenn man es so will, etwas trashig.
„Alexandra!“ rief ich.
Sie sah zu mir. Sie reagierte! Oh Gott, war das doch alles nur ein schlechter Traum gewesen? Sie kam zu mir… doch wieso weinte sie?
Das kostenlose eBook, diese Kurzgeschichte von Jeanne Winter hätte ein viel größeres Potential gehabt. Winter ist nicht unbegabt, mit den Worten zu spielen und eine mitreißende Szenerie aufzubauen. Und vor allem als eBook-Autorin hatte sie keine Ausrede für Platzmangel. Als erfolgreiches, erdrückend-spannendes Gegenstück zu dieser Kurzgeschichte sehe ich „Schmetterling und Taucherglocke“ von Jean-Dominique Bauby. Dieses autobiographische Werk eines „Gefangenen“ zeigt die Gefühle, die Ängste, die Gedanken viel besser auf. Wäre Winters Buch um das Doppelte oder Dreifache länger, also immer noch eine Kurzgeschichte, hätte sie etwas Großartiges daraus werden lassen können. So bleibt man, am Höhepunkt der Geschichte, etwas planlos zurück.
Jeanne Winter
Gefangen
Bookrix
Preis: ebook kostenlos (Info zu Partnerlinks)
rund 15 Seiten; 1885 Wörter
ISBN: 978-3-7309-4249-9