Die Fälle des Taubenvergrämer Fitz (Fall 6.367)

Es ist heiß in der Stadt. Ein Auftrag führt mich in den Wedding. Der Kunde klagte am Telefon über eine Taube, die sich auf seinen Dachboden verirrt habe.

Wenig später stehe ich vor ihr.

»Hallo Taube.

»Taubenvergrämer Fitz. Sieh an.“

»Kennen wir uns?“

»Ja, wir hatten schon ein paar Mal das Vergnügen. Sie wollten mich schon öfter vergrämen. Habe Ihre Vergrämungen  aber bisher alle überlebt. Teilweise zwar schwer verletzt, aber immerhin.«

»Nehmen Sie es nicht persönlich. Ist mein Job.“

»Genau diese Einstellung ist das Problem von Euch Menschen. Aber gut.«

»Da haben Sie aber Glück gehabt, dass Sie noch leben.«

»Na, ja. So sehr hänge ich jetzt auch nicht am Leben. Taube zu sein ist auch nicht so geil. Aber Sie sind leider ein verdammt mieser Taubenvergrämer.«

»Wie lange ist unser letztes Aufeinandertreffen her?«

»2 Wochen. Wollen Sie mich wieder vergrämen?«

»Ja, deshalb bin ich hier.«

»Hab’s geahnt.«

»Der Bewohner des Hauses hat mich angerufen. Er ekelt sich vor Ihnen.“

»Echt? Haste dem gesagt, dass ich nur ein Täubchen bin?«

»Das wusste er. Deshalb will er Sie ja los werden.«

»Lass mich raten: Wegen Viren und Kot etc.?«

»Ich kenne seine Gründe sind. Sind mir auch egal.«

»Aha. Befehl und Gehorsam. Glückwunsch… Ganz toll, du Freigeist.«

»Ich muss auch von etwas leben.«

»Du bist also immer noch Taubenvergrämer. Schön, schön…«

»Und Sie immer noch Taube. Schön, schön.«

»Jetzt werd mal nicht albern, Freundchen. Zeig mal etwas Respekt! Ich werde bald sterben! Also, los. Bringen wir es hinter uns. Machen wir es kurz. Knall mich ab.«

»Ich werde Sie nicht erschießen. Ich setze Antitaubenspray ein.«

»Ach, du scheiße. Ist das auch sicher? Nicht, dass ich wieder überlebe. Wenn ich nochmal überlebe, überlebe ich das nicht. Haha. Kleiner Wortwitz…«

»Warum sind Sie überhaupt hier? Hier oben gibt es nichts zu fressen.«

»Wollte ein Nest bauen. Hatte aber vergessen, Äste mitzunehmen. Und als ich die holen wollte, kam ich nicht mehr raus.«

»Aber Sie haben einen tollen Ausblick von hier oben. Geht das Fenster nach Westen?«

»Keine Ahnung. Kenne mich mit Himmelsrichtungen nicht so aus. Bin eine Taube.«

»Dann können Sie von hier aus den Sonnenuntergang bewundern.«

»Kann sein. Für so etwas habe ich gar kein Auge. Eine alte Scheibe Brot ist mir lieber. Ich brauche die Sonne nur zur Orientierung. Nicht um ihren Untergang zu bewundern.«

»Tauben orientieren sich an der Sonne?«

»Woran denn sonst?«

»Ich dachte nur: Die Sonne bewegt sich, da…«

»Die Erde bewegt sich, Depp…«

»Da landen Sie doch je nach Tageszeit immer woanders.«

»Was weiß ich denn? Irgendwas mache ich schon richtig. Sonst wäre aus mir ja wohl kaum eine Brieftaube geworden.«

»Sie sind eine Brieftaube?«

»Nein. Aber um ein Haar wäre ich eine geworden! Leider habe ich mir sehr früh eine Knieverletzung zugezogen. Da war es dann aus mit der Karriere. Sonst wäre ich heute bestimmt Taubenweitflugweltmeister oder so was. Wie Mario Götze.«

»Mario Götze ist Fußballer.«

»Ich meine einen anderen Mario Götze. Die Taube Mario Götze.«

»Den Taubenweitflugweltmeister Mario Götze?«

»Genau.«

»Ich glaube, Tauben orientieren sich gar nicht an der Sonne.«

»Du musst es ja wissen, Vollidiot.«

»Ich kann gerne mal googeln, wie Tauben sich orientieren.«

»Boah, gehören Sie auch zu den Typen, die ständig auf Ihrem Scheißtelefon rumdrücken?«

»Ist doch praktisch.«

»Ihr Menschen seid doch krank. Das mobile Internet macht alle Unterhaltungen kaputt.«

»Ich habe mal gelesen, dass sich Pinguine am Mond orientieren.«

»Pinguine? Kenn ich nicht.“

»Sind auch Vögel. Gibt es aber in Deutschland nicht.«

»Wurden die auch schon vergrämt?«

»Nein.«

»Lüg nicht. Bestimmt. Ihr habt die bestimmt alle ausgerottet und dann festgestellt: Huch, Pinguine sind ja alle weg. Was machen wir denn nun? Haben wir uns den Ast abgesägt hat, auf dem wir sitzen, wie dummen, dummen Menschen. Ach, vergrämen wir doch die Tauben! Und was passiert, wenn Ihr uns auch ausgerottet habt? Sucht Ihr Euch dann die nächsten wehrlosen Vögelchen? Wer ist dann dran? Die Amseln? Die Kühe?«

»Kühe?«

»Ja, Kühe. Oder habt Ihr die auch schon ausgerottet?«

»Kühe sind keine Vögel.«

»Ja, ich weiß. Mir ist so schnell nix anderes eingefallen. War die Zunge wieder schneller als der Verstand. Von mir aus kannst du übrigens die Kühe ruhig vergrämen. Die sind eh scheiße. Wenn die nicht wären, wären wir Tauben viel beliebter.«

»Ach, ja?«

»Na, klar. Dann würden die Menschen unsere Milch trinken! Dann wären wir die Nutztiere!“

»Aber… Geben Tauben denn Milch?«

»(kleinlaut) Nicht mehr. Die Evolution hat uns Tauben die Euter wieder abgeknöpft. Weil wir sie nicht mehr gebraucht haben, nachdem die Kuh erfunden war. Da hat auch keine Demo was genützt. Jeden Montag haben wir Tauben demonstriert: Euter statt Viren! Euter statt Viren! War der Evolution aber egal.«

 

Ich starre die Taube fassungslos an. Dann nehme ich mir ein Herz und frage:

 

»Was reden Sie nur die ganze Zeit für ein Zeug?«

 

Das hätte ich nicht fragen sollen. Die Taube flattert auf und schreit hysterisch:

»Ja, was glaubst du denn? Ich werde bald sterben! Ich sehe dem Tod ins Auge! Und der sieht auch noch so scheiße aus wie du! Weißt du, was das für eine Belastung ist? Und da fragst du allen Ernstes, warum ich dummes Zeug rede? Schon mal Dead Man Walking gesehen? Ich bin Dead Pigeon Standing! Das ist Horror! Im Angesicht des Todes redet man eben mal Blödsinn. Da ist man nicht Herr seiner Sinne! Entschuldigen Sie bitte, der Herr, dass ich Ihren intellektuellen Ansprüchen nicht genüge…«

»Vorhin sagten Sie noch, Sie  hätte keine Angst zu sterben…«

»Hab meine Meinung geändert! Jetzt hab ich eine Scheißangst vor dem Tod! Woher weiß ich denn, was danach kommt? Vielleicht werde ich im nächsten Leben so ein Wurm wie du?«

»Aber dann verschwinden Sie doch einfach von diesem Ort. Dann muss ich Sie auch nicht töten.«

Die Taube fragt überrascht:

»Ach… Geht das noch?«

»Natürlich. Meine Aufgabe ist es nur, den Dachboden taubenfrei zu machen. Mehr will mein Kunde ja gar nicht.«

»Der hat nicht gesagt: Bring mir den Kopf der Taube?«

»Nö?«

»Hm… Joh, dann… mache ich mich doch lieber mal aus dem Staub… Ich merk schon gleich, dass ich viel entspannter bin. Wenn du willst, können wir jetzt noch ein intelligentes Gespräch führen. Bin deutlich entspannter. Hast du gestern Arte gesehen?«

»Ist schon gut. Fliegen Sie lieber los.«

»Kannst du das Fenster öffnen?«

»Ist offen.«

Die Taube hebt ab und knallt gegen die Scheibe.

»Hihi«, schmunzele ich. »Kleiner Scherz.«

»Arsch«, sagt die leicht benommene Taube. »Mach das Fenster auf.«

Diesmal tue ich der Taube den Gefallen – woraufhin sie vorsichtig auf die Fensterbank hüpft, mit dem Schnabel checkt, ob diesmal wirklich keine Scheibe mehr im Weg ist und schließlich auf und davon fliegt. Ich blicke ihr lange nach. Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns zum letzten Mal gesehen habe. Diese Taube – sie ist mein Schicksal. Mein Moby Dick.


JanUweFitzJan-Uwe Fitz

schreibt auf, wie sein Leben verliefe, wenn alles ganz anders wäre. In seinem ersten Roman „Entschuldigen Sie meine Störung“ schildert er auf absurde Weise seine Menschenangst und wie der Aufenthalt in einer Nervenklinik ihn nur noch mehr verstörte. Sein zweiter Roman „Wenn ich was kann, dann nichts dafür” erzählt von einem Taubenvergrämer, der aus den Schweizer Bergen nach Berlin und weiter nach Venedig zieht, um sich seinen großen Lebenstraum zu erfüllen: eine Taube zu vergrämen. Jan-Uwe Fitz twittert als @vergraemer.

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