Unterwerfung • Michel Houellebecq

Das große Skandalwerk ist in Wahrheit nur ein gewohnt gelungener, aber zugleich auch ein zutiefst normaler Houellebecq geworden.

Unterwerfung erzählt die Geschichte des (wie sollte es bei Houellebecq anders sein) sexuell frustrierten Literaturwissenschaftlers und Uniprofessors François während einer Zeit des gesellschaftspolitischen Wandels in Frankreich. Er, der Experte für Joris Karl Huysmans, einem französischen Autor, der sich gegen Ende seines Lebens hin dem katholischen Glauben zugewandt hat, lebt im Frankreich des Jahres 2022. In dem Jahr, als Hollande nach zwei Legislaturperioden keine Möglichkeit mehr hat, mit den Sozialdemokraten bei den Wahlen zu punkten und neben der Front National plötzlich die erstarkte Muslimbruderschaft rund um Mohamed Ben Abbès zum Zug kommt. Als im ganzen Land Anschläge von Dschihadisten und Identitären verübt werden. Als Juden aus dem ganzen Land nach Israel flüchten, aus Angst vor dem Erstarken des politischen Islams bzw. der Front Natoinal. Die Utopie (oder eher Dystopie) klingt spannend, reißt mich als Leser auch mit, … nur François bleibt überraschend ruhig.

Houellebecq

Michel Houellebecq
geboren 1956 oder ’58 in La Reunnion, Frankreich

Weitere Werke:

  • Elementarteilchen
  • Karte und Gebiet

Michel Houellebecq muss man einfach mögen: Er macht das Abstoßende so anziehend, die sexuelle Frustration zum Programm und erzeugt so bei seinen Lesern oft eine ungewöhnliche Hassliebe, wie ich das selten bei einem Autor erlebe. Ich habe all seine Romane gelesen und war deshalb hoch interessiert, als ich Anfang des Jahres erfuhr, dass ein neues Werk erscheinen soll. Und nicht nur das: Schon Tage vor der Veröffentlichung gab es Diskussionsrunden im nationalen (französischen) Fernsehen, große Proteste und schließlich sollte auch ein Satiremagazin Houellebecq als großen voraussagenden Magier bezeichnen. Ich war also gespannt. Und dann, genau am Erscheinungsdatums des Buchs kommen Bilder aus Frankreich, wie man sie nicht sehen will. Ging er womöglich wirklich zu weit mit seinem Buch?

Von wegen: Durch die Heraufbeschwörung eines immensen Skandals kann das Buch in Wahrheit nur verlieren. Denn Houellebecqs Beschreibung eines islamischen Staates namens Frankreich, im Herzen Europas, ist vielleicht in der Ausführung seiner Fantasie ein Angriff auf westliche Werte (in Bezug auf Frauen, Bildung usw.), aber es ist keine Verteufelung des Islams. Kam der Islam schon einmal in einem seiner Werke deutlich schlechter weg, so kann sich der Protagonist in diesem Buch sogar sehr gut mit ihm anfreunden. Die Einkehr des politische Islams in Europa, die sogenannte Islamisierung auf allen Ebenen, sie stellt eine Unterwerfung dar, natürlich, aber François könnte es schlimmer kommen. So ist dass keine Hasspredigt gegen den Islam, es zeigt nur die Auswirkungen des politischen Islams – nicht mehr und nicht weniger. Und das noch nicht einmal außerordentlich brutal, sondern für François schlussendlich positiv. In Wahrheit warnt Houellebecq (neben dem politischen Islam) vor allem vor den Identitären, die, wie er erklärt, sehr viel mit dem politischen Islam gemein haben. Oder vielmehr noch vor dem Werteverfall der westlichen Welt, der einen so großen Erfolg Ben Abbès überhaupt erst möglich macht.

Bevor ich ging, redeten wir auf ihrem Sofa von La Maison du Convertible noch ein paar Minuten miteinander, um die Stunde vollzumachen, für die ich bezahlt  hatte. Sie war zwar recht intelligent, aber ziemlich konventionell – über alles, von der Wahl Mohammed Ben Abbes‘ bis hin zu den Schulden der Dritten Welt, dachte sie genau das, was man gemeinhin darüber dachte.

Alles in allem ist Unterwerfung ein gewohnt gelungener Houellebecq. Sexuelle Frustration, das Altern, die Literatur und Religion – daraus maßschneidert der Autor diesmal ein fesselndes Buch, dass die Skandale rundherum in Wahrheit gar nicht wirklich verdient hat. Es beleidigt nicht den Islam, sondern holt den politischen Islam über das Mittelmeer. Kritisiert ihn, indem er ihn beschreibt. Und Houellebecq (oder doch François?) kann sich ja schlussendlich recht gut mit dem islamischen Staat anfreunden. Denn nur dank ihm und seinen Ansichten zur Polygamie kann François mit bis zu vier Frauen rechnen. Und das ist ja auch was.

Michael Houellebecq

Unterwerfung

DuMont

Preis: 22,99 Euro (Hardcover), 18,99 Euro (eBook) (Info zu Partnerlinks)
271 Seiten

Transparenz: Ich bedanke mich beim DuMont Verlag für die Zusendung eines kostenlosen Rezensionsexemplares.

Autorenbild: Georges Biard [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

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