Der Sturm.

Seit Tagen schon kündigen sie es an. Starke Böen werden heute über uns herziehen, bis zu 150 Stundenkilometer, und viel zu viel Regen der aufgrund des Windes wohl waagrecht auf uns einprasseln wird. Seit Tagen schon stehen alle Zeichen auf Sturm. Wir sitzen im Garten, haben einen Kreis gebildet, der zarte Wind huscht durch unsere Haare. Wir lachen noch, die Glut unserer Zigaretten fliegen gefährlich nah an uns vorbei, wir lachen noch, während alle anderen noch hektisch die Fenster schließen und die Pflanzen vom Garten in den Keller tragen.

Wir haben keine Angst. Haben keine Angst und wollen uns auch nicht verstecken. Endlich ist einmal wieder etwas los und wir können es kaum erwarten. Wir werden nicht ewig hier draußen sitzen und uns einer großen Gefahr aussetzen, aber warum nicht noch ein bisschen warten. Auf den ersten Regen, auf die erste richtige Böe, auf den ersten Donner, der auf den ersten Blitz folgen wird.

In der Ferne trägt der Wind Sand durch die Gegend, und bedeckt ganze Gegenden, der Baum dort am Horizont ist kaum noch mehr zu sehen. Saharastürme, hier bei uns, das hatten wir ja schon oft. Aber nicht in diesem Ausmaß und man kann ja fast von Glück reden, dass es ja auch Regen geben sollen.

Seit Tagen schon hätte es passieren können, so genau wusste man es nicht, immer mal wieder gab es kurz etwas Regen, oder überraschende Windstöße, doch jetzt steht endlich alles auf Apokalypse. Die Straßen sind wie leer gefegt, nur ganz vereinzelt fahren noch Menschen, wahrscheinlich auf dem Weg nach Hause oder der Suche nach einem Unterstand.

„Man sollte sich bei einem Sturm nie unter einen Baum stellen.“, sage ich, „Man wird zwar dann vielleicht weniger nass, ist aber eher tot. Ödön von Horvath ist so gestorben.“
– „Indem er sich unter einen Baum gestellt hat?“
„Nein, weil er bei einem Sturm in der Nähe eines Baumes war. Ast ab, Ast auf Ödön, Ödön tot.“

Ich liebe es, mit, zwar interessantem, aber doch nicht notwendigem Wissen zu punkten, indem ich es auf das Hier und Jetzt anwende.

„Aber wenn da so ein richtiger Sturm kommt, dann kann er auch einen Ast von einem Baum abreißen, ihn einen Kilometer in der Luft jonglieren und dir dann genau auf die Birne werfen.“, sagt er.

Und ich mag es auch, wenn meine Freunde diese ganzen Sachen weiterdenken. Der Himmel ist vollkommen verdunkelt, die Welt ist still geworden, die Nachbarskatze war übrigens schon den ganzen Tag verstört, wir zünden uns noch eine Zigarette an. Bald ist es soweit. Das Donnergrollen kommt immer weiter auf uns zu, der Wind wird stärker.

„Aber wisst ihr was?“, frage ich. „Ich finde es gut, dass wir das hier machen.“
– „Was?“
— „Ja, was?“
„Dass wir zu den wenigen Menschen gehören, die sich noch nicht verkrochen haben. Dass wir hier ausharren, und der potentiellen Gefahr so nah wie möglich in die Augen sehen wollen. Weil wir keine Angst haben, aber auch nicht lebensmüde sind. Weil dieser Jahrhundertsturm, wie er schon seit Tagen genannt wird, unser Jahrhundersturm ist.“
„Ach, halt die Klappe.“, werde ich geneckt.

Ich bin ja schon ruhig. Seit Tagen schon stehen die Zeichen auf Sturm. Und ich war wohl nie zufriedener, als in genau diesem Moment. Die ersten Tropfen, so dick wie ein Kubikzentimeter, trommeln auf unsere Körper, der Donner wird lauter, die Blitze sichtbar. Und schon gehen wir hinein, blicken zusammen aus den Fenstern, beobachten den nicht enden wollenden Regen, hören schon die ersten Feuerwehrsirenen und blicken noch aus den Fenstern, als plötzlich der Strom weg ist.

„Jetzt ist es wohl Zeit für Tee.“, sage ich, starte den Gasherd, zünde ein paar Kerzen an und stelle das Wasser auf.
– „Oh ja.“

Bildrechte: PublicEpicness / Pixabay

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