Uns sind die Helden abhanden gekommen, sagte er zu mir über einem halbleeren Glas Bier. Du solltest neue machen. Also sitze ich hier, während sie sich alle in die Welt
verteilen und schaffe ihnen neue Helden.
Als Zurückbleibender bleibe mir sonst ohnehin nur die Auflösung. Natürlich, die ersten Tage wäre es Entspannung, die ersten Wochen produktive Lektüre, aber dann, dann wäre ich weg. Also erschaffe ich Helden, die mich festhalten werden.
Nun braucht jeder Held seine Welt, was das Unterfangen unübersichtlich enorm werden lässt. Er dachte bei seinem saloppen Du solltest neue machen. wohl an eine simple Liste
mit Namen und zugehörigen Attributen heldenhafter Natur, sah wohl gar nicht, in welche Aufwände er mich stürzte. Es täte ihm wahrscheinlich leid, schilderte ich ihm den
Prozess, den jeder seiner neuen Helden zu durchlaufen hatte, bevor er sein Schwert erheben konnte.
Aber ich bin ein Schreiber meines Wortes und so habe ich Ärmel aufgekrempelt, denn ich habe Arbeit zu tun. Es gilt in erster Linie, Stereotype zu vermeiden, um sie zu späterer Stunde für Barschlägereien wieder herausholen zu können. Seine neuen Helden müssen einsam sein, beschließe ich, damit er bei seiner Rückkehr in seine kleine Welt mit
ihnen fühlen könne. Senn unsere Helden sind bekanntlich immer extreme Varianten unserselbst, weshalb die besten ihrer Art keine Superkräfte, sondern massive Komplexe ihr Eigen nennen. Macht geht schließlich d’accord mit überwundenen Widrigkeiten. Übertreiben aber darf man es freilich mit diesen Problemstellungen nicht.
Für jeden Reisenden musste es einen Helden geben, schreibe ich fest. Also lege ich jedem meiner Freunde eine Begleitung ans ferne Herz. Dem Philosophiestudenten
schreibe ich einen sokratischen Abenteurer, dem Impro-Genie das halbe Burgtheater an den Hals und kurz fühle ich mich unheimlich gut dabei.
So entstand eine Figur für all meine Freunde, denn einmal die Scheu abgelegt, springen mir wie üblich die passenden Eigenschaften nur so auf’s Papier. Das Geheimnis ist, das
Heldenschaffen weniger als Schreiben, denn als Bildhauen zu sehen:
Zu Beginn stellt man einige extreme, ja, fast extremistische Grundzüge dieser neuen Person fest, dies ist der Marmorblock unter den Helden. Von diesem absichtlich
völlig überzogenen Machtmenschen subtrahiert man in Folge vorsichtig, bis man zum Essentiellen, dem Kern, gelangt. Aber Vorsicht ist angebracht! Denn nur der kleinste Schnitt zuviel nimmt dem Charakter seine ganze Heldenhaftigkeit und er wird zu einem besonders langweiligen, weil ungleichen Menschen.
Uns sind die Helden abhanden gekommen. Du solltest neue machen, klingt es mir stets in den Ohren. Also bringe ich Tage und Nächte damit zu, ihnen neue zu machen. Tagsüber in Gedanken, nachts in der Tat. Es soll ein ganzes Ensemble
werden, sage ich mir in seinem Tonfall.
Ich schreibe und schreibe und schnitze und schnitze.
Uns sind die Helden abhanden gekommen. Die Neuen ähneln meinen Vorstellungen von ihnen mit dem vergehenden Sommer immer mehr. Sie lernen, was Helden zu tun haben. Hoffnung wächst.
Da es vorerst genug Figuren sind, gehe ich dazu über, ihnen Szenen zu schreiben. Das ist zunächst schwierig, aber bald zeichnet sich ein Zug hin zum Bekannten ab: Die Schauspielerin setze ich in ein meiner liebsten Buchhandlung bis aufs Haar gleichendes Geschäft, das nach Tee duftet, der schon etwas zu lange zieht, den verkappten Botaniker in die kleine Höhle dort im Wald hinter meinem
Garten.
Die Helden, die sich wohl in ihrem Zuhause fühlen, fangen schnell an, von ihren Abenteuern zu erzählen. Sie tun es hastig, so als wissen sie, dass sie nicht allzu lange Zeit
haben, um ihre Geschichten an den Mann zu bringen, bevor sie von ihren neuen Besitzern in Beschlag genommen werden.
Selbst der Vertreter, den ich ganz zu Beginn erdacht hatte, mein Prototyp, welcher bei mir verbleiben wird, lässt sich von der allgemeinen Hysterie mitreißen und eröffnet jede seiner Geschichten mit einem immer gleichen, aber inbrünstigen Uns sind die Helden abhanden gekommen, bevor er schnellen Wortes zu erzählen beginnt.
Wenn die Freunde mit dem Sommer ziehen und der Junge einsam zurückbleibt, wird jedes Schloss zur Festung.
Das Los des Alleingelassenen ist ein schreckliches, der Kerker ein grausamer, denn er ist einer, in dem früher oder später der Geist zu ersticken droht.
Die ersten Tage kann er sich in die Weiten seiner Bücher werfen und wird zufrieden sein in der Ruhe. Doch wenn alle Stricke reißen und alle Seiten gelesen sind, wenn die Ruhe zur Stille wird, dann droht die Welt im Kopf für immer einzustürzen. Der Junge wird nicht wissen, wieer vor lauter Nichtstun existieren soll, denn alle Straßen scheinen schon von den Trümmern verschüttet, einVorankommen gibt es nicht. Bald wird er nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist. In dieser Isolation ist der Geist der Vertrocknung schutzlos ausgesetzt.
Erst dann, in der auswegslosesten Dürre, zeigt sich der Held im Jungen, denn ein Held ergreift die Feder und stützt die Mauern Wort für Wort. Mit flinker Handbewegung legt er einen neuen Trakt in seinem Heime an, gestaltet alte Räume um. Er lässt sich von den Regentropfen, die den Burggraben, welcher ihn zurückhält, füllen, Geschichten erzählen und erfreut sich daran.
Denn wenn die Stadt in all ihrer Größe den Helden zu erdrücken droht, so wächst der Held über sich hinaus und wandert als Riese durch die Prachtstraßen. Denn in seinen Gedanken ist er nicht allein. In seinen Gedanken wird das leere Zimmer bevölkert von hunderten Menschen, von tausenden Abenteuern. In dieser Gesellschaft
verbringt der Held seine Tage und lässt sich inspirieren. In Gedanken macht er eine größere Reise als seine Freunde, dorthin wo kein Zug der Welt ihn bringen könnte. Mit jedem Wort, dass er schreibt, wird seine Welt weiter und detailreicher. Jede beschriebene Seite befreit seinen Geist ein Stück.Oft fällt es ihm schwer, sich nicht an einen anderen Ort, weit weg zu seinen Freunden zu wünschen, doch er weiß, seine Zeit, seine Reise wird kommen. Vorerst ist seine Rolle die des Bewahrers, denn wenn niemand wartet, kann man zu nichts zurückkommen. So wartet der Junge und freut sich mit all seinen Geschichten auf die Schilderungen seiner Freunde.
Und wenn die Freunde nach langer Abwesenheit wieder heimkehren, sagt der Held, er habe ein wenig umgestaltet. Mit diesen Worten reicht er ihnen seine Niederschrift.
Und wenn die Freunde nach langer Abwesenheit wieder heimkehren, reiche ich ihnen die paar Seiten vollgeschriebenes Papier.
Uns sind die Helden abhanden gekommen. Das seid ihr von morgen.
Matthias Kreitner
wurde 1992 geboren, besuchte in Wien die Schule und studiert nun ebenda Germanistik. Nach zwei produktiven Jahren auf einem Blog wurde übersiedelt und mehr und mehr seiner Texte sind auf Papier zu lesen. So ist er bisher im piepmatz Verlag, in der Wiener Literaturzeitschrift „& Radieschen“ und im Lyrik-Jahrbuch der Brentano-Gesellschaft vertreten. Im Moment liegt der Fokus vor allem auf Prosa jeglicher Länge und auch auf ersten Gehversuchen im dramatischen Fach.
Ich finde es toll, deine und andere Gedanken und Geschichten zu lesen. Immer wieder sehr berührend und bewegend. Einige lassen mich sogar sehr nachdenklich zurück! Genau so sollte es auch sein. Vielen lieben Dank! 🙂
Mich interessiert zu dem heutigen Beitrag, woher du das schöne Foto mit der riesigen Uhr gefunden hast.
vlg die Alex ^^
Erstmal vielen Dank für die netten Worte! Das Foto hab ich im obersten Geschoss des Musee d’Orsay in Paris gemacht. Das ist nämlich in einer alten Bahnhofshalle untergebracht und oben schaut man praktisch durch die alte Bahnhofsuhr auf die Seine hinunter.
Ich nehm mir jetzt mal etwas Lob für die „die Gedanken und Geschichten“ heraus. Vielen lieben Dank! 😉 Die Frage zum Foto kann dir der Autor von „Ihr von morgen“, Matthias sicherlich beantworten. 🙂
Vielen lieben Dank an euch beide 🙂 Ihr seid klasse! Dankeschön.
LG und einen schönen Abend,
Alex ^^