9/11

Das Ende meiner Kindheit. Oder der Welt, wie ich sie kannte. War es für Amerika ein Schock, für die Welt ein Entsetzen, war es für mich persönlich wohl das erste einschneidende Erlebnis meines Lebens. Und selbst zehn Jahre danach war das Fernsehprogramm der vergangenen Woche hart für mich. Als würde ich mir ein Stück Vor-9-11 zurückwünschen. Ein kleines Stück naive, heile Welt.

Ich war 13 Jahre alt. Und erlebte wohl einen der tollsten Tage meines bisherigen Lebens. Mein Papa nahm sich die Zeit, mit mir, im Zug, nach Wien zu fahren. Auf irgendeine – im Jahr darauf – eingestellte Nerd-Messe. Das erste Mal Wien, und vielleicht schon damals der Beginn einer schlussendlich fatalen Liebesgeschichte. Wir waren gerade am Heimweg als Mobiltelefone klingelten.

“Flugzeuge, ins World Trade Center”

Meine Schwester und meine Mama war auch unterwegs, nicht unweit unseres Zuhauses. Als sie wieder heimkamen und das Fernsehen nur aus einem Thema bestand, riefen sie uns an. Meine Mutter erklärte es mir mit etwas zittriger Stimme, die Augen und die Gedanken sichtlich auf die Fernsehbilder gerichtet. Ich konnte es noch gar nicht verstehen. War nicht bereit dazu und wohl auch nicht dazu im Stande. Und irgendwann erinnerte ich mich an den kleinen Radio, den ich, trotz des Lächelns meiner Eltern, vor der Abreise eingepackt hatte.

“Menschen sprangen aus den oberen Stockwerken. Nun sind beide Türme eingestürzt. Über die Opferzahl weiß man noch nichts, aber an einem normalen Arbeitstag können dort bis zu 30.000 Menschen zugegen sein.” So oder so ähnlich wiederholte sich der Radiosprecher und andere Fahrgäste, rund um uns herum, versammelten sich um den krachenden Radio. In ihrem Gesicht war Entsetzen, wohl auch ein kleines Stückchen Angst. Erwachsene Menschen, die von dieser Nachricht so verstört waren. Hier war ganz offensichtlich etwas passiert. Etwas Einschneidendes für uns alle.

Aber die Welt und ihre Fugen müssen auseinandergeraten. Um Menschen wieder näher zusammenrücken zu lassen, um Hilfsbereitschaft wieder zur großen Tugend werden zu lassen. Oder zumindest, um auf genau das hoffen zu können. (Die Welt und ihre Fugen)

Daheim angekommen gab es für die kommenden drei Tage nur dieses Thema. Dieselben Bilder, immer und immer wieder. Und selbst VIVA und MTV spielten ruhige, traurige Musik. Wiederholten wohl halbstündlich “Only Time” von Enya. Verzichteten auf Werbung. Hier war wirklich etwas passiert. Amerika, das Land meiner kindlichen Träume, jenes Amerika, das mitFull House oder Hör mal wer da hämmert, jenes New York, welches mir mit Nanny oderSeinfeld ans Herz gelegt wurde. Es war am Ende.

Krieg, Verschwörung und Antiantiamerkanismus

W. Bush wählte Krieg als Reaktion. Wohl das Einzige, was er in dieser Situation machen konnte. Ein so patriotisches Land wie Amerika würde sich nach einem solchen Anschlag nicht mit Diplomatie begnügen. Wählte Afghanistan, schließlich Irak. Damals war ich Gegner dieser Kriegszüge. War dagegen, weil man ja wohl kaum für Krieg sein kann oder so. Schließlich fiel mir Loose Change in die Arme. Und vermutete die USA hinter den über 3.000 Toten der Anschläge. Sei ja alles schön plausibel. Ich war jung, Leute, sorry. Und Verschwörungstheorien haben ganz einfach eine unglaubliche Anziehung auf mich. Aber während auf Twitter oder Facebook munter ein gewisser Antiamerikanismus gepflegt wird, und selbst auch die “Qualitäts”Medien damit anfangen, ist das Trara rund um 9-11 Jahr für Jahr etwas Besonderes.

Ein Wieder-in-Erinnerung-Holen schrecklicher Bilder. Der Gedanke, dass man erstmals live dabei zusehen konnte, wie 3.000 Menschen starben. Dass 9-11 Live-Terror war und wir nur gebannt, erschrocken, entsetzt und ängstlich vor dem Fernseher saßen. Sprachlos von all den erdrückenden Eindrücken. Und für mich bedeutet 9-11 und das persönliche Auseinandersetzen mit dem auch der Beginn einer neuen Zeitrechnung in meinem Leben. Die Kindheit, wie ich sie kannte, war mit diesem Tag vorbei. Jetzt würde es dunkler werden. Jetzt würden auch mal schlimme Dinge passieren. Und sie passierten auch. Auf der Welt, in meinem Umkreis und in mir. Aber schön langsam baue ich sie mir wieder auf. Diese eine, diese kleine, naive, heile Welt.

Bildquelle: AttributionNoncommercialNo Derivative Works Some rights reserved by nycgeo
Erstmals veröffentlicht: 12. September 2011

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