Aus sicherer Ent­­­fernung.

„Ich habe viel gelesen. Die Websites vieler Medien waren mein täglich Brot. Die Politdiskussionen im Fernsehen waren mein Tatort, und das fast jeden Tag. Mein Twitter-Feed hörte niemals auf und zu allem habe ich mir eine Meinung gebildet; habe sogar gedacht, dass sie von Relevanz sein könnte. Habe mich von toxischer Dummheit treiben lassen, von Politiker*innen triggern lassen, von Entwicklungen einlullen, von der Realität erschlagen.

Seit einigen Jahren habe ich mich auf ganz, ganz wenige Medien beschränkt. Seit Anfang des Jahres habe ich selber keine Tweets mehr geschrieben, seit Anfang Sommer habe ich auch die App mit dem X gelöscht. Die Welt um mich herum, sie geht immer noch unter. Kriege entstehen und keine Frieden werden geschlossen. Frauenrechte werden wieder zu Grabe getragen und Minderheitenrechte bekommen erst gar keinen Platz. Toxizität ist keine Ausnahme in der Weltpolitik, jetzt ist sie Programm.

Bin ich naiv, wenn ich mich daraus zurückziehe? Ist es falsch, nicht täglich vom kaputten Klima zu lesen und auf die Straße zu gehen, damit die Politiker*innen weiter alles ignorieren, damit ihre Großspender noch so lange wie möglich Profit daraus schlagen zu können? Ist es abgestumpft, wenn die achtzehnten Eskalation im Nahen Osten oder der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nur mehr als Überschriften gelesen werden, anstatt mit Analysen, Bildern und Videos von der Brutalität der Ereignisse erschlagen zu werden?

Kann man eigentlich noch glücklich sein, wenn man sich der Realität so wirklich stellt? Selbstschutz vor Fremdschutz heißt es beim Erste-Hilfe-Kurs und auch die mentale Gesundheit gehört geschützt. Die Realität ist dabei der große Feind. Bin ich egoistisch, weil ich mich nicht hinein begebe in diese Wirklichkeit, die ich niemals wollte und der ich einfach so ausgesetzt bin?

Ich mache kleine Schritte, die Dinge, die ich eben machen kann; meine beste Bewältigungsstrategie ist übrigens immer noch Humor. Meine mächtigste Waffe und meine größte Schwäche. Aber was soll man denn sonst machen, ohne vollkommen verrückt zu werden? Durch und durch depressiv? Vollkommen am Ende?

Vermutlich ist es falsch, alles aus sicherer Entfernung zu beobachten, mitzubekommen, aber nicht versuchen, ein Teil der ganzen Echauffierungsmaschinerie zu sein. Das Wissen, dass es scheiße um diese Welt steht, bleibt ja bestehen. Es ist nur die Intensität anders. Ist das halbwegs verständlich?“

– „Okay, ich wollte eigentlich nur fragen, ob Sie diese Zeitung noch lesen wollen oder ob ich sie nehmen darf. Aber … wow. Also nicht positiv gemeint … glaub ich.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert