Nennen wir es Glück.

Ich nenne es wohl Glück, nichts mehr zu spüren, obwohl du nicht mehr kommst. Ich höre auf an der Tür zu warten, obwohl du doch gerade erst raus bist und vielleicht ja doch noch einmal umdrehst. Weil du deinen Schal im Vorzimmer und deinen Handabdruck am Fenster vergessen hast, aber ich dich noch immer nicht.

Ich nenne es wohl Glück, nicht mehr sehen zu müssen, wie du fehlst. Weil mich das Vermissen fast blind gemacht hat und es dabei deine Rückstände mehr und mehr ausblendet. So wie die zweite Bettdecke am Fußende oder deine eine Tasse, die jetzt soweit oben steht, dass ich sie fast nie mehr sehe. Schön langsam taste ich mich voran und richte mich ein in dieser neuen Umgebung, die doch der alten so gleicht.

Ich nenne es auch Glück, dich nicht mehr lieben zu müssen. Und das, obwohl es mir immer so leicht und dir gar so schwer gefallen ist. Ich hätte noch ewig damit weitermachen können. Aber jetzt kann ich endlich aufhören, freu mich jetzt schon auf etwas Neues, freue mich, neu zu lieben. Aber so schnell geht all das nicht, so schnell kann ich nicht aufhören. Auch wenn ich dich nicht mehr lieben muss, und schon längst nicht mehr soll. Was, wenn ich es trotzdem noch tue?

Ich nenne es Glück, nichts mehr zerbrechen zu müssen, nur um auf Scherben zu hoffen.
Ich nenne es Glück, dass ich mir auch das Dunkelste in mir und um mich schönreden kann.

Ich würde es Glück nennen, noch ein einziges Mal neben dir aufzuwachen und endlich einmal selbst alles zu bereuen.
Ich würde es Glück nennen, wenn ich mich wieder verlieren könnte. In jemand anderen als dir.

Ach. Es ist doch egal, wie ich es nenne.

Und trotzdem.

Heute zeichnet sich da wieder etwas Vermissen in meinem Polster ab.
Eine Einkerbung zu viel; ein Mensch zu wenig.

Bildquelle: DeathtotheStockPhoto / Lizenz (in Plain English)

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