Spinner • Benedict Wells

Jesper Lier ist 20 Jahre alt, ist nach dem Abi von München nach Berlin gezogen und möchte Autor werden. Oder so. 

Jesper Lier will Schriftsteller werden. Das weiß er jetzt schon seit Jahren und er macht ja auch was dafür. Wie viele Nächte er durchgemacht hat, um zu schreiben (und zu trinken) und jetzt ist es fertig. Sein Werk, sein allererstes richtiges Manuskript: „Der Leidensgenosse“. Ein Epos, wie er selbst sagt. Die Verlage sagen aber bisher wenig dazu. Geld verdient er sich bei einem journalistischen Praktikum beim Berliner Boten, aber sein Ziel ist klar. Doch es geht nicht auf. Nichts geht auf. Rein gar nichts.

Die, die es lesen, finden es erst mal gar nicht so gut. Erkennen sein Talent meist zwar doch, aber das, was er da fabriziert hat, ist … naja. Für seine Mutter hat er sich ein Lügengebilde ausgedacht, in welchem er selbst schon manchmal gerne lebt. Aber immer mehr entgleitet ihm das Leben. Seine Freunde, Gustav und Frank, wollen ihm oft helfen, wollen ihn an der Hand nehmen, aber er lässt es nicht zu. Immer mehr vermischen sich Traum und Wirklichkeit, Lüge und Wirklichkeit und Literatur und Wirklichkeit. Und selbst wenn er nicht genau weiß, woran er ist, weiß er zumindest: Es geht bergab. Gäbe es da nicht Miri.

BenedictWells

Benedict Wells
geboren 1984 in München

Weitere Werke:

Es wirkt beinahe autobiografisch: Benedict Wells ist nach dem Abi ebenfalls von München nach Berlin gegangen, mit dem Wunsch Schriftsteller zu werden. Fünf Jahre später, 2008, erschien dann sein „Debütroman“ Becks letzter Sommer, der in Wahrheit das zweite Werk von Wells war. Ein Jahr darauf wurde schließlich Spinner veröffentlicht. Ob er wohl auch dieses Megamanuskript á la „Der Leidensgenosse“ auf seinem Schreibtisch hatte? (Oh, gerade auf Wikipedia gelesen:  Offenbar hatte Becks letzter Sommer anfangs wirklich 1.500 Seiten!)

Die Person Jesper Lier hat mich herausgefordert: Manchmal ein Arschloch, dann doch wieder dieser verrückte Romantiker, den auch ich nur allzu gut kenne, meist ein Lügner. Aber doch auch ein Typ, mit dem man Mitleid haben muss, so sehr fühlt man sich in seine Überforderung hinein. Erst am Ende des Buches erscheint ein Lier, der es einem einfacher macht, sich mit ihm zu identifizieren. Der größere, fast bessere Hauptdarsteller in diesem Buch ist Berlin: Die Stadt wird von Jesper eher düster wahrgenommen, der Leser verspürt aber diese sonderbare Mischung, die eine solche Großstadt immer bietet. Sie pulsiert, zeigt ihr facettenreiches Bild und macht Lust, mal wieder in den Flieger zu steigen.

Nachdem ich nun alle Wells-Bücher gelesen habe, ist mir übrigens noch eines aufgefallen: In jedem seiner Bücher bekommt der Vater eine besondere Rolle: In Becks letzter Sommer sind es die großen Fußstapfen von Becks Vater, in Spinner ist es der tote Vater sowie die Vaterfigur, in Fast genial ist es die Suche nach dem Vater und auch im neuen Buch Vom Ende der Einsamkeit nimmt der Vater eine wichtige Rolle ein. Ich bin jetzt kein großer Literaturwissenschaftler, aber vielleicht kann ja irgendjemand etwas mit dieser Erkenntnis anfangen.

„Willst du gewinnen,  so  greif an und kämpfe, ganz egal, wie groß das Risiko dabei ist.  Es ist immer besser, etwas  zu bereuen, was man getan hat, als etwas, was  man nicht getan hat.“

Ich habe Spinner nach Vom Ende der Einsamkeit gelesen. Und ja, es liegen nun einmal sieben Jahre und eine offensichtlich große Entwicklung des Autors dazwischen. Aber Liers Leben und Leiden in Berlin ließ mich das Buch schlussendlich doch innerhalb weniger Tage auslesen. Das Trostlosigkeit, Wahn, sein Scheitern, dass all das so spannend sein kann, überraschte mich. Und zeigt, dass Wells ganz offenbar ein herausragender junger Autor war und ist. Wer gerade erst mit Wells beginnt, dem empfehle ich Spinner aber eindeutig als erstes Buch.

Benedict Wells

Spinner

Diogenes

Preis: Taschenbuch 12 Euro (Info zu Partnerlinks)

306 Seiten

ISBN: 978-3-257-24054-2

 

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