Sarah Riedeberger • Wortheldin Mai 2015

Ich hole sie vor den Vorhang: Wer sind diese Worthelden, die mich mit ihren literarischen Texten auf ihren Blogs verzaubern? Diesmal hat Sarah meine zehn Wortheld-Fragen beantwortet.

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Wer bist du und wenn ja, warum?

Manchmal bin ich wohl die wandelnde Frage: “Wieso sind die Menschen eigentlich so gemein zueinander?” Und ich bin immer immer ein Kabelsalat aus Gedanken und Gefühlen. Das ist für andere im Alltag ziemlich nervig und anstrengend, vermute ich, aber ich kann nicht anders.

Oft stürze ich mich selbst ins ganz große Verderben, um hinterher glücklich festzustellen, dass Hautunreinheiten, ein zu hoher Tellerrand, Coolness und der ganze andere Kram, bloß ausgedachter Schwachsinn ist. Es gibt immer Schlimmeres als unbeliebt zu sein, das kann ich versprechen.
Aber dann und wann mal knallhart zu scheitern formt ja in einer gewissen Weise das Innen, das, was man wohl Persönlichkeit nennt, und speziell auch die Wahrnehmung im Umgang mit der Welt, den Menschen und sich selbst.
Dass Vieles im Leben unabänderlich scheiße ist, und dass ich meines mehr als einmal vor die Wand gefahren habe, hat mich großflächig sensibilisiert. Ich höre seither mehr zwischen den Sätzen zu. Vielleicht um anderen zu helfen ihre Entscheidungen bewusster zu treffen und Enttäuschungen zu vermeiden. Das ist eine positive Seite am Scheitern.
Aber durch dieses ständige Hinfallen, wird mir auch immer wieder klar, dass das ganze Gerede um Äußerlichkeiten ziemlich unwichtig (geworden) ist. Ich glaube nämlich an den Menschen, nicht an das, was er vorgibt zu sein. Und ich diskutiere darüber auch nicht.

Am Ende ist es aber ganz einfach: Ich schreibe, ich lache, ich atme.
Ich heiße Sarah, ich bin 25 Jahre alt und und ich möchte auch niemand anderes sein.

Und wie viel davon steckt in deinen Texten?

Anders als man vielleicht denkt, sind meine Texte keine Tagebucheinträge oder irgendwas derartiges. Ich verarbeite vielleicht Erlebtes und Gefühltes, aber der Anlass, jenes aufzuschreiben, beruht darauf, Gedachtes mit der Welt teilen zu wollen. Es gibt ja zwischen all den Sätzen eine Aussage, die einzelne Leser für sich herausziehen können. Ich nutze das Schreiben nicht, um mich auszuleeren.

Aber es ist ja nun mal so: vieles kann ich in Gesprächen mit anderen einfach nicht erklären, weil es oft nicht die einen Worte gibt, die beschreiben, was ich denke oder fühle. Ich kann auch innere Zerstreutheit nicht in einem einfachen Satz rüber kommen lassen und annehmen, dass mein Gegenüber das jetzt kapiert.
Oft fehlt sowieso die Sicherheit, und es kommt die Frage auf, ob ich dieses und jenes jetzt wirklich genau so sagen kann, wenn ich wollte, und es fehlt im Grunde ständig die Haltbarkeit von kleinen und großen Geschehnissen, Gedanken und Äußerungen. D.h. fühle ich das morgen noch, war das alles eigentlich wirklich so? Mit einem Text manifestiere ich zwar etwas, aber Papier ist geduldig und das Gelesene muss nicht immer gegenwärtig oder ein echter Teil von mir sein.
Es könnte, aber es muss nicht.

Manchmal sind es die Einflüsse meiner Mitmenschen, die mich motivieren einen Text zu schreiben. Manchmal ist es mein persönlich Erlebtes. Nicht selten ein Spiegel meiner emotionalen Idiotie und vor allem ist es ein großer Teil meiner Unwissenheit. Meine Texte sind mit mir verwandt, ganz klar, aber sie sind nicht ich. Sie sind nur eine Erzählung von mir. Das zumindest glaube ich.

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Seit wann und warum schreibst du eigentlich?

Auf jeden Fall nicht, seitdem ich schreiben kann. Eher seitdem ich fühlen kann. Und genau da liegt auch das Warum.

Irgendwann habe ich mir mal vorgenommen, mit dem Schreiben die Welt zu verändern, zu verbessern, zu einem echt wohnlichen, schönen Ort zu machen, auf dem alle immer glücklich sind, sogar ich. Dann wurde ich erwachsen. Und seitdem weiß ich, dass vieles unwichtiger ist, als ich immer vermutet habe. Und dass es einfach nicht reichen würde, zu schreiben: “Seid mal alle netter zueinander, ihr Rabauken!”, weil ich das jetzt für das Beste halte. Klar, jeder weiß das Nettsein gut ist und dass viel weniger Hass noch besser wäre, aber die Umsetzung im Leben ist echt schwierig. Grade in der Zeit des Internets. Wo ständig geschubst und geprügelt wird.

Ich komme aber nie ganz los von dem Gedanken, mit dem was ich schreibe, irgendwas bewirken zu wollen. Beispielsweise schreibe ich viel zum Thema Traurigkeit/Trauern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle irgendwann einmal in die Situation kommen, um jemanden zu trauern. Es zu müssen. Was natürlich wirklich scheiße ist, ich muss es zugeben. Aber die Auseinandersetzung damit wartet nicht darauf, ob man bereit ist oder nicht. Egal, ob man nun zehn Jahre alt ist, Mitte zwanzig oder Ende fünfzig. Jeder Verlust erzeugt ein unaussprechliches Gefühl in jene Menschen, die loslassen, die begreifen müssen und es ist schön, wenn man weiß, dass diese verzerrten Gefühle, die man dabei fühlt, kein Einzelfall sind.

Ich habe also in den letzten Monaten ein paar Texte zum Umgang mit dem Tod geschrieben, nicht, um irgendeine Art des Mitleides zu erregen, sondern weil ich es verdammt wichtig finde und weil viel zu wenig darüber geredet wird! Und wenn man seine Trauer nicht zulässt, dann ist das sehr schade und ich glaube, manche versteckten Gefühle sorgen irgendwann dafür, dass man implodiert. Von mir aus darf man sogar fünf Jahre so richtig traurig sein und diese Erfahrung für die Öffentlichkeit aufschreiben, sie teilen, man kann überall heulen, man kann sagen, dass etwas weh tut und peinlich muss das wirklich niemandem sein. Es wäre sogar schön, wenn mehr Menschen ihre Sicht teilen würden, dann wäre man weniger alleine und verstünde vielleicht diese Ambivalenz aus Fülle und Leere in einem drinnen, die man an manchen Tagen fühlt, wenn man jemanden vermisst. Die ganze Verschwiegenheit über wichtige Gefühle kotzt mich sowieso an. Ich bin für mehr kollektives Fühlen und deswegen schreibe ich auch.

Und in Wirklichkeit ist nie jemand da, der mit einem die richtigen Katastrophen aussitzt, die, die bis über eine vermeintlich peinliche Albernheit hinausgeht. Papier schon.

Das Leben hat so viele Möglichkeiten, das lässt keinen Platz mehr für wirklich gute, tiefe und sinnvolle Gespräche. Und dieses, was hätte sein können, dass schreibe ich dann einfach auf. Das, was ich vielleicht erzählt hätte, erzählen hätte wollen, wenn jemand sein Ohr hingehalten hätte. Ich schreibe, weil es zu wenig direkte Zuhörer gibt. Und zu wenig Kontakt zwischen den sich nahestehenden Herzen. Man denkt oft, dass die Beziehungen tiefer gehen, aber Zwischenmenschlichkeit herrscht rudimentär im Alltag, als Notwendigkeit gilt sie nicht, daher weiß auch keiner so richtig von ihr. In einem Text kann ich so tief gehen, dass es schmerzt, aber keinem tut es wirklich weh.

Ich glaube, schreiben macht für mich die Komplikationen im Leben aushaltbar. Und meine eigene Fehlbarkeit kleiner, weil Texte mehr können. Weil sie umarmen, beschützen, berühren und erklären können, was man sonst nie verstanden hätte.
Und als ich das konkret feststellte, war ich vielleicht dreizehn, oder so.

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Was macht dich sprachlos?

Definitiv das ungeschminkte Leben! Das so genommen wird, wie es einem eben vor die Füße fällt. Gibt es derart nur leider kaum.
Vieles ist ja von A bis Z so gut durch inszeniert, dass man gar nicht genau weiß, mit wem man da in Wirklichkeit spricht.

Oder anders gesagt: Menschen. Menschen, die vielleicht brachiale, traumatische oder auch nur simple Erfahrungen gemacht haben, die das aber nicht als Niederlage sondern als Mehrwert für ihre Persönlichkeit und den weiteren Lebensweg ansehen. Menschen, mit all ihren glanzlosen Facetten, dreckigen Fingernägeln, Übergewicht, Schulden, Bruchbuden und Narben. Und ich meine nicht die Narben, auf die jeder stolz ist, weil Narben ja immer mal wieder angesagt sind. Sondern jene Narben, die Geschichten erzählen, die sprachlos machen, rühren, berühren, und die man nicht auf Fotos bei Instagram hochlädt, sondern dicht am Herzen trägt. So dicht es eben geht. Diese Geschichten hat nicht jeder, und das ist auch gut so! Aber es gibt auch noch die anderen wunderbaren Menschen, die Sprachlosigkeit in mir auslösen. Einen Augenblick die Chance nutzen, jemanden dabei zu beobachten, wie er sich nicht um künstliche Probleme schert, oder seine ganze Energie in Liebeskummer über eine drei-Monats-Beziehung investiert, sondern einfach glücklich ist, über das, was er hat und ist. Das ist sehr liebenswert. Und das finde ich so irre schön, dass es mich sprachlos macht. Sehr sprachlos sogar.

Wo befindet sich dein kreativster Ort?

Gibt es so was wirklich? Ein Ort, an dem man sprudelt und schreibt, textet, plant, konstruiert, sein Wirrwarr im Kopf auseinander fummelt oder durchwühlt, wie einen Abfalleimer?

Es gibt bei mir zwei Arten zu “schreiben”. Ich laufe zum Beispiel gerne, von mir aus auch im Kreis. Das ist nämlich immer noch besser als blöd rumzustehen, wenn einem mal das Rückrat wehtut. Ich kann dann gut nachdenken, überlegen und manchmal ist da auch ein Erkennen der Dinge, Antworten auf Fragen, Texte, die sich im Kopf von ganz alleine schreiben. Draußen ist es immer schön, egal was für Wetter, und ich kann ziemlich weitschweifend denken. Aber schreiben könnte ich da trotzdem nicht richtig, nur notieren. Sagen wir es so: Ich kann mich draußen ziemlich gut in meine Gedanken schmeißen, bleibe da aber genau so lange liegen, bis es dunkel wird, oder ich zumindest in einem (abgedunkelten) Raum sitze.

Der beste Ort ist für mich also jener, an dem ich alleine in einem Zimmer sitze, in dem wasweißichwas alles sein kann. Dort sitze ich dann zwischen den Buchstaben, den Gefühlen, den Augenblicken. Das ist meist bei Nacht.
Auf eine idiotische Weise schiebt sich dann etwas Hoffnung zwischen grau und grau.

Vielleicht ist der kreativste Ort für mich ja sogar jener, an dem ich hoffen kann. Und das kann eigentlich überall sein. Aber im Grunde schreibe ich hauptsächlich am Schreibtisch. Wo auch immer der steht.

Wer oder was inspiriert dich?

Am meisten Authentizität. Echte Menschen voller Wahnsinn und Dummheit, frei von Glitzer und Konfetti.

Und auch Miteinander. Dieses, bei dem man ganz nahe beim anderen ist. Denn es geht doch eigentlich das ganze Leben ums Miteinander, oder? Wenn das Herz alleine schlägt, macht das hier ja alles nur halb so viel Spaß und wenig Sinn. Wer erinnert dich denn, nach deinem Tod, wenn du nie da warst?

Aber auch Wunden, Schmerzen und vor allem der Tod sind so Dinge, die mich vollkommen einnehmen können! Dass wir nämlich am Ende alle sterben müssen, ist so beschissen, dass es mich gleichzeitig schon wieder fasziniert und sogar inspiriert. Das Wissen um die Endlichkeit ist eben genau das, was quält, und gleichzeitig das Leben schürt. Und mit diesem Gedanken bis zum Tod umgehen zu müssen, umgehen zu können, aus dieser Vorahnung, die eine Tatsache ist, zu lernen, was leben heißt, das macht einen Großteil meiner Texte aus.

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Wie viele Entwürfe verstecken sich in deinem Blog?

Puh. Kann ich nicht mehr zählen. Ich bin eine ganz fürchterliche “erstmal alles aufschreiben, was mir in den Sinn kommt”-Schreiberin. Ich habe 12554875841 Notizbücher. So ähnlich verhält es sich auch mit Entwürfen im Blog.

Bist du kreativer, wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?

Ich schreibe, wenn ich traurig bin. Und ich schreibe auch, wenn ich glücklich bin. Aber ich veröffentliche nicht alles. Ich muss das erst mal reflektieren, meistens noch eine Woche später.

Was ist dein ganz persönlicher, selbst geschriebener Herzenstext?

Der übers Trauern.

Welche drei literarischen Blogger möchtest du empfehlen?

Candy Bukowski
Sofasophia
Anidenkt

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6 thoughts on “Sarah Riedeberger • Wortheldin Mai 2015

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