Herr Leitner und das erste Mal

Zugegeben: Ihr erwartet jetzt sicher eine ganz andere Geschichte. Aber gleich vorweg: Über mein sexuelles erstes Mal werde ich aus Respekt vor allen Beteiligten nicht sprechen. Vielmehr befasst sich diese Aufzählung der Ereignisse aus dem Erfahrungsschatz des Herrn Leitner mit all den vielen anderen ersten Malen, die er in seinem bisherigen Leben so erlebt hat. Und auch mit all jenen, die er gerne noch erleben möchte.

Mein erstes Cola habe ich mit sechs Jahren während eines Urlaubs in Griechenland getrunken. Meine zweieinhalb Jahre ältere Schwester hat mir damals von diesem sagenumwobenen Getränk vorgeschwärmt und ich – naiv, wie ich schon damals war – musste es natürlich ausprobieren. Danach glaubte ich, der bis dahin alle kohlensäurehältigen Getränke (offenbar) aus gutem Grund verweigert hatte, dass ich einerseits schweben und andererseits zugleich mein Kopf und auch mein ganzer Körper explodieren würde. Mein erstes Mal Cola-durch-die-Nase-Trinken hat übrigens auch etwas mit meiner Schwester zu tun. Die Arme wurde genötigt, als sie mit einer Freundin ins Freibad fuhr, ihren kleinen Bruder mitzunehmen; ich war damals nervige acht, neun Jahre alt. Ein herzhaftes „Du traust dich nie …“ bewog mich schließlich dazu, mir den Strohhalm in die Nase zu stecken und auf diesem Weg einen tiefen Schluck zu nehmen. Und, um bei flüssigen ersten Malen zu bleiben: Meinen ersten Vollrausch hatte ich (mit siebzehn) auf der Silberhochzeitsfeier meiner Eltern, bei der ich so viel Alkohol in Form von Weiß- und Rotwein, Bieren und unzähligen Schnäpsen zu mir führte, wie jemals zuvor und auch niemals mehr danach.

Aber schauen wir weiter: Nachdem ich recht erfolgreich und ohne jegliche Probleme alle vier Jahre der Volkschule absolvierte, bekam ich in der ersten Klasse Gymnasium mein erstes „Genügend“ auf eine Schularbeit – noch dazu in Deutsch und für eine Geschichte, die ich selbst durchaus großartig fand. Meine Deutschlehrerin hingegen sah darin (wohl zurecht) eine Themenverfehlung. Als ich zuhause tränenreich dieses Malheur beichtete, wollte ich mich schließlich das erste Mal umbringen. Glücklicherweise hatte ich mit 10 oder 11 Jahren nicht wirklich Ahnung vom erfolgreichen Ausführen einer Suizidandrohung und glücklicherweise hatte ich auch seither keinerlei Absicht und keinen Grund, es noch einmal zu versuchen.

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Als ich das erste Mal nach Wien gefahren bin, flogen zeitgleich zwei Flugzeuge in zwei amerikanische Hochhäuser. (Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang). Als mein Onkel einmal eine fast frische Zigarette wegwarf, kam ich zu meiner ersten Zigarette. (Sie schmeckte natürlich scheußlich). Als ich irgendwann einmal in einer Gruppe zusammenstand, kam ich zu meinem ersten Joint. (Er schmeckte eindeutig weniger scheußlich). Als ich das erste Mal wählen durfte, fühlte ich mich zugleich das erste Mal so richtig erwachsen. (Was für eine bodenlose Lüge). Als zum ersten Mal ein Mensch aus meiner engsten Familie starb, war ich überhaupt nicht darauf vorbereitet. (Das hat sich aber bei den weiteren Todesfällen nicht wirklich verändert.) Als ich das erste Mal „Ich liebe dich“ zu einer Person sagte, wurde es nicht erwidert. (Aber, wie ich schon so oft log: Je ne regrette rien).

Die österreichische Tageszeitung Die Presse war das erste („richtige“) Medium, das Texte von mir veröffentlicht hat. Das war vor nunmehr fast 8 Jahren und es hat meinem Kindheitstraum, Journalist zu werden, wieder mehr und mehr Antrieb gegeben. (Und seht, wo ich heute bin.) Als ich das erste (und bisher einzige) Mal Texte von mir öffentlich vorgetragen habe, musste ich hin und wieder stottern. (Und trotzdem war es ein grandioses Gefühl.) Als ich das erste Mal ein komplettes Buch fertiggeschrieben habe, handelte es sich nicht um Volle Distanz. Näher zu dir sondern um ein ganz anderes Werk: the places you have come to fear the most, kein Weltbestseller, aber immer noch mit einem ganz besonderen Platz in meinem Herzen und meiner Schublade. (Erst letztens wieder in dieses Weltschmerzwerk reingelesen.) Als ich das erste Mal Menschen mein Buch lesen sah, pochte mein Herz ganz laut. (Aber nur ich habe das wohl gehört.) Als ich das erste Mal Feedback dazu bekam, fiel mir wiederum ein Stein vorm Herzen. (Weil ich mir da endlich sicher sein konnte, dass die Geschichte nicht nur mir gefällt.)

Ich wäre fast zu feig gewesen, als endlich der Moment gekommen war, meiner ersten Freundin zum ersten Mal einen Kuss zu geben. Überhaupt waren es oft Angst und die daraus resultierende übertriebene Feigheit, die mir so manche erste Male zerstört haben. Ich habe es oftmals bereut, aber in Wahrheit darf man sich nicht lange darüber ärgern. Oder sollte es zumindest nicht. Denn wenn es einmal nicht klappt, so behält man sich das „erste Mal“ einfach für einen späteren Zeitpunkt auf. (Nur drauf vergessen, das sollte man nicht).

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Und auch mit meinen fast siebenundzwanzig Jahren stehen mir noch Tausende erste Male bevor. Vielleicht werde ich sie nicht gleich erkennen, aber irgendwann wird mir dann doch bewusst, dass ich dieses oder jenes noch nie zuvor getan habe. Erste Male sind nicht immer schön – ein explodierender Kopf sollte mir eigentlich eine Lehre sein -, aber sie bringen einen weiter. Sie machen das Leben so verdammt aufregend und überraschend. Und manchmal kann man sie auch ganz genau planen. Ich zumindest freue mich schon darauf, wenn ich in ein paar Jahren das erste Mal einen Heiratsantrag machen werde. (Und er hoffentlich – das erste Mal – auch angenommen wird.) Oder wenn ich ein paar Jahre später das erste Mal mein Kind auf dem Arm halten werde.

Wir sollten eigentlich nie aufhören, uns nach ersten Malen zu sehnen. Nur das macht unsere Zeit hier wirklich lebenswert. Und manchmal muss man über den eigenen Schatten, die Angst und die übergroße Feigheit springen und es einfach mal wagen. Diesen Spruch sollte ich mir eigentlich auf ein T-Shirt drucken lassen – das wäre wohl dann auch das erste Mal.

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