Der Bus nach Hause. Die Hausmeistern, die noch immer im Innenhof der Wohnanlage arbeitet, die glücklicherweise offene Eingangstür im Erdgeschoss. Peter steht vor seine Tür, kramt in den Hosentaschen, bis er sich erinnert. Der Schlüssel liegt auf der anderen Seite der Tür und Sophie, die Besitzerin des Zweischlüssels hat bis jetzt nicht auf seine Nachrichten geantwortet. Und doch sieht er unter seiner Türmatte nach, vielleicht war sie ja da, vielleicht wollte sie einfach nur keine Worte wechseln und da ist er. Erleichtert vergisst Peter seine Versuche, sich die Nummern der günstigen Schlüsseldienste zu merken, schließt auf und geht erleichtert in die Wohnung. Sie war da, sie hat ihn nicht hängen gelassen, sie hat ihn zwar verlassen, aber ihn nicht in seiner eigenen Misere, mit seinem kaputten Kopf, allein gelassen. Seine Umhängetasche landet neben der Garderobe, die Schuhe verlieren sich auf dem Weg zur Küche und durch das offene Fenster raucht er die zwanzigste Zigarette des Tages. „Ich bin schwanger.“
Sophie steht im Türbogen zur Küche, mit verweintem Gesicht und in Erwartung einer Antwort. „Was?“ – „Ich … bin … schwanger.“, wiederholt sie, ganz langsam, um es zu verstehen und Peter überlegt immer noch. Zwei Züge noch, bis er sie wegwirft und Sophie ein paar Schritte auf ihn zu macht. „Ich bin schwanger.“, murmelt sie ein weiteres Mal und er umarmt sie.
Das verändert natürlich alles. Alles muss nun vollkommen neu geordnet sein. „Es tut mir Leid.“, sagt er und meint nicht die Schwangerschaft. Sie schluchzt und gräbt ihr Gesicht noch etwas tiefer in seine Schultern. Sie zittert. „Wir … wir sollten reden, oder?“ Peter nickt, schließt das Fenster und die beiden wissen nicht wirklich wohin, wissen nicht, wohin mit ihnen selbst, wissen nicht weiter. Sie hat ihn verlassen und das nicht ohne Grund, sie hat wahrscheinlich sogar noch zugewartet, weil sie es schon ahnte und so sehr hoffte, dass auch er es ahnen würde. Sie legen sich aufs Bett, es ist genug Platz, genügend Abstand zwischen den beiden und blicken an die Decke. „Seit wann weißt du es?“, ist die erste Frage.
„Gestern Abend.“ Er nickt, um sein Verstehen zu signalisieren. „Ich wollte es dir sagen, gestern, wollte dir dieses wundervolle Geheimnis offenbaren, doch da war nichts, weißt du. Du warst so, wie du schon die letzten Monate warst, da war nichts, was mir gezeigt hätte, dass es eine gute Idee wäre, es dir zu sagen, und es wohl eine bessere Idee wäre, das Geheimnis zu wahren und einen anderen Weg zu gehen.“ Er nickt, er versteht. „Und du hast es nicht gespürt, hast mich einfach gehen lassen. Weißt die, wie weh das tut?“ Er schüttelt den Kopf, er versteht. „Mit deinem Kind in meinem Bauch, vollkommen alleine, weil du nicht mehr du bist, oder jetzt wohl das bist, was du lange verdrängt hast.“ Er schweigt und versteht. „Es konnte so nicht mehr weitergehen. Ich konnte nicht mehr.“
„Und was bedeutet das jetzt für uns?“ fragt er und weiß, dass ihnen beiden eine zufriedenstellende Antwort fehlt. „Ich kann mich verändern.“, sagt er der Rettung wegen. Um zu retten, was längst verloren schien und nun neuen Schwung, ein neues Wunder bekommen hat. Um zu retten, was er nie verlieren wollte, und doch bereit war, es gehen zu lassen. „Aber willst du das auch? Bist nicht du, wie du jetzt bist, vielmehr das, was du wirklich bist? Hast du nicht einfach nur deine Fassade abgelegt, die du so lange Zeit nur für mich getragen hast? Habe ich mich vielleicht einfach nur in dir getäuscht, von dir täuschen lassen?“ Er schüttelt den Kopf und weiß es selber nicht.
„Ich habe dich vernachlässigt, war verdammt egoistisch, ich weiß das. Ich weiß, dass eine ganze Menge falsch gelaufen ist, dass wir uns immer weiter voneinander wegbewegt haben. Ich weiß es. Magst du Kaffee?“ Er steht auf, geht in die Küche und lässt Sophie zurück, nicht einmal eine Antwort abwartend. Er braucht Tapetenwechsel, selbst wenn es er nun auf die Fliesenvertäfelung der Küche blicken muss, es bleibt trotz allem ein Tapetenwechsel. Zu viele Löffel gemahlenen Kaffee in den Filter, gerade genug Wasser. Das Notebook läuft noch immer.
„Roland will seiner Freundin einen Heiratsantrag machen.“, sagt Peter, als er die Blicke Sophies auf seinem Hinterkopf spürt. „Warum sprichst du jetzt davon?“ Eine berechtigte Frage. „Weil er verdammt mutig ist, das habe ich mir gerade gedacht. Er ist verdammt mutig, einen so wichtigen Schritt zu gehen, mit dem Wissen, dass alles anders werden wird. Egal ob sie ja sagt, was ich ihm wünsche, oder nein. Alles wird anders. Er ist ein mutiger Mann.“ Ein überfröhlicher Mann mit übermäßigem Redeschwall, aber immerhin verdammt mutig. „Mir fehlt der Mut, weißt du.“ Sie nickt und es schmerzt ihn, dass sie nickt, nicht zweifelt, nicht nachdenkt, sondern einfach nur nickt. Und er blickt ihr in die Augen, die noch etwas feucht sind, blickt in sie hinein und weiß es endlich wieder. Weiß, was er so lange Zeit nicht mehr sicher wusste, weiß, worüber er den ganzen Tag nachgedacht hat.
„Ich liebe dich, Sophie. Obwohl ich ein vollkommener Idiot bin, ein verdammter Feigling, obwohl ich so bin, wie ich bin, ich liebe dich.“ Sie beißt sich zart auf die Unterlippe und erwartet weitere Worte. „Ja, ich liebe dich. Auch, obwohl du so bist, wie du bist. Wir sind keine einfachen Menschen, das ist doch wahr?“ Sie nickt. „Aber ich war noch nie so glücklich, wie zu dem Zeitpunkt, als ich dich gefunden habe. Es war mir wahrscheinlich nie so bewusst wie jetzt, wo ich dich verloren habe. Das ist immer der falsche Zeitpunkt, es zu erkennen, aber so ist es eben. Mit Milch?“ Peter leert den Kaffee in zwei frische Tassen, holt die Milch aus dem Kühlschrank und stellt sie daneben hin.
„Und warum hast du mir das zuletzt nicht gezeigt?“ – „Weil ich es vergessen habe. Weil ich egoistisch genug war, um zu vergessen, wer du bist, was wir sind. Veränderungen sind immer scheiße“, so vieles hat sich verändert, „und ich kann nur schwer damit umgehen.“ Sie nickt und schüttelt den Kopf zugleich und Peter war sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass dies überhaupt möglich ist. Sie zieht ein kleines Foto hervor, legt es neben die zwei Tassen und sagt: „Veränderungen sind nicht immer scheiße. Denn neben all dem was wir waren und sind, das sind wir auch.“ Und Peter blickt zum ersten Mal auf das kleine Würmchen auf dem Ultraschallbild, den Tränen nahe und schweigt. „Da hast du recht. Nicht immer.“
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