Herr Leitner und seine Matura

Nachdem in Österreich gerade zum ersten Mal die Zentralmatura ausprobiert wird, ist die österreichische Hochschulreife gerade wieder in aller Munde. Und wenn ich in meinem Kopf nach Erinnerungen suche, muss ich bereits acht Jahre zurückblättern: Es war der 19. Juni 2007, an dem ich mich zum ersten Mal in meinem Leben einer Kommission stellen musste. Und ich habe es so grandios versemmelt, sodass ich immer wieder gerne davon erzähle.

Wobei man natürlich noch weiter in der Vergangenheit kramen muss. In der ersten Klasse Gymnasium hatte ich einen Schnitt von 1,6 und von da an ging es rapide bergab. Die dritte Klasse habe ich wiederholen müssen (eine großartige Entscheidung), in der siebten Klasse musste ich mich dann auch noch einmal einer Nachprüfung in Mathematik stellen und ich hab sie knapp geschafft. Das Coolste an der Schule (zumindest in der Oberstufe) war es, meine Freunde tagtäglich zu sehen. Und in Supplierstunden mal eben das Klassenbuch zu verstecken und mit dem Moped zum Badesee zu fahren. Aber irgendwann war der reguläre Schulalltag vorbei. Und mit der schriftlichen Matura begann dann der erste stundenlange Ernst des Lebens.

Deutsch, Englisch und Mathematik: Mein Lieblings-, mein Zweitlieblings- und mein Hassfach standen dabei auf der Agenda. Und jeweils ungefähr fünf Stunden Zeit. Und wie man es sich wahrscheinlich ausrechnen kann, gelang alles halbwegs gut. Bis auf das Hassfach, dass somit noch einmal kommen sollte – als mündliches Zwangsfach.

Aber jetzt kommen wir endlich zurück zur mündlichen Matura. Nach wochenlang abgehaltenen Vorbereitungsstunden der auserwählten Fächer schlüpfte ich an eben diesem Dienstag in meinen Anzug und fuhr schon frühmorgens in die Schule, die ja meine Heimat war, für fast neun Jahre. Und ich war zu allem bereit: vor allem für meine Wahlfächer Deutsch, Englisch, Musik, Psychologie und Philosophie und eben Mathematik. Während die anderen bereits nach einem Halbtag fertig waren, durfte ich diesen ungesunden Stress einen ganzen Tag lang genießen.

Was man jetzt noch wissen muss: Ich bin – im Nachhinein gesehen – ein Depp gewesen, da ich mir für alle Fächer, für die ich ein Spezialgebiet brauchte, nicht ein Thema, sondern eine Person ausgewählt: Ödön von Horváth für Deutsch, Oscar Wilde für Englisch, Claude Debussy für Musik und Jean-Paul Sartre für Psychologie und Philosophie. Warum das nicht ganz so klug war? Weil man dabei viele Werke, die Biographie der jeweiligen Person und dann auch noch den Zustand der Gesellschaft zur damaligen Zeit im jeweiligen Land wissen hätte sollen. Aber nachher ist man ja stets klüger.

Die Deutschmatura lief überraschend gut. Ich sage deshalb überraschend, weil meine Lehrerin später zu mir gekommen ist und mir erklärte, sie hatte fast eine schlaflose Nacht, weil sie nicht genau gewusst hat, welches Thema sie mir nun geben sollte. Schlussendlich musste ich mich neben Horváth mit Woyzek befassen. Es gibt wahrlich Schlimmeres. Und auch Sartre sollte nicht so schlimm werden: gemeinsam mit einer Frage zum Familienbrett konnte ich auch das zumindest „befriedigend“ meistern.

Dann mein Angstfach: Mathematik. Die Aufgabe war … erwartbar und doch hatte ich meine Probleme. Und musste nach der Vorbereitung schließlich meine Rechnung an der Tafel aufschreiben. Dass mich damals meine Lehrerin darauf aufmerksam machte, dass ich dabei offenbar falsch von meinen Notizen übertragen habe (habe ich nicht!) und wir dann rasch zur nächsten Aufgabe weitergingen, dafür bin ich ihr heute noch dankbar.

Für Englisch habe ich mir aus Wildes Werken drei Titel herausgepickt: Natürlich das großartige The Picture of Dorian Gray und zusätzlich die zwei Theaterstücke The Importance of being Earnest und Lady Windermere’s Fan. Während die Geschichte des Herrn Gray es schon einige Jahre vorher auf Platz 1 meiner Lieblingsbücher geschafft hat, habe ich mir die beiden andeen Werke nicht angetan. Etwas Internetrecherche, die Inhaltsangabe auf der englischen Wikipedia und ein paar andere Links sollten mir dabei schon behilflich sein. Dachte ich zumindest. Denn dann passierte mir ein regelrechter Fauxpas. Als man mich nach dem einen Buch fragte, erzählte ich freudig den Inhalt des anderen Buches. Darauf aufmerksam konnte ich dann leider den Inhalt des eigentlichen Buches nicht mehr abrufen. Mein Lehrer sagte nicht viel, schmunzelte nur etwas und entließ mich nach ein paar Fragen über die späten Jahre Oscar Wildes (mit De Profundis, womit ich mich ja überhaupt nicht befasst habe). Verdammt.

Und dann kam da noch die Musikmatura. Coole Menschen wie ich suchen sich ja immer (mindestens) ein Fach aus, das sozusagen ein „gschenkter Einser“ wird. Religion zum Beispiel, oder eben Musik. Und während die anderen Musikmaturanten vor mir gleich mit einer Vorstellung ihrer musikalischen Künste auftrumpften (einmal Saxophon und einmal Klavier) musste ich aufgrund fehlendem Talent für Instrumente mit Wissen voll und ganz überzeugen. Es konnte eigentlich nichts schief gehen, viele Themen waren schon gekommen und fielen somit für mich sehr wahrscheinlich weg, und die zwei, drei Themen, die auf mich zukommen sollten, die würde ich schon schaffen.

Doch dann kam die Geschichte der Oper von irgendwann im fünfzehnten Jahrhundert bis heute. Ein Thema, dass war in der Vorbereitungsstunde innerhalb kürzerster Zeit durchbesprochen hatten und zu dem ich gerade einmal einen Absatz aufgeschrieben hatte. Ich war verloren. Mein „gschenkter Einser“ sollte also, wenn man in Englisch noch ein Auge zudrückt und eine Tasse Tee trinkt, also mein Verderben werden. Und dann geschah so etwas wie ein Wunder. Die ganze Kommission vollführte eine kurze Pause und verließ den Raum. Die ganze Kommission? Nein. Ein großartiger Musiklehrer blieb und hat mir innerhalb kürzester Zeit sehr viel über die Oper erzählt.

Das Gesagte war dann schließlich halbwegs okay, bis zu der einen Stelle, an der man mich nach dem bekannten Platz in Venedig fragte. Ich stand auf der Leitung, blickte mit Verzweiflung in die Runde. Sah meine Deutschlehrerin in der Kommission, die mit ihren Lippen den Namen formte. Und schließlich auch die schulexterne Kommissionsvorsitzende, die dies ebenfalls versuchte. Als ich dann hilflos „Es tut mir Leid, ich kann leider nicht Lippenlesen“ sagte, schmunzelte die gesamte Kommission unnd die Vorsitzende sagte „Und ich kann es Ihnen leider nicht laut vorsagen.“ Für alle, die es nicht wissen: Es war der Markusplatz. In den Tagen danach habe ich übrigens mindestens einmal täglich den Namen gehört.

Nach einem langen Tag, schweißtreibend und aufregend, kam dann der große Moment. Die Verlautbarung der Resultate. Und obwohl ich in allen Fächern nicht wirklich gut war, habe ich in Deutsch, Psychologie und Philosophie, Mathematik und Musik bestanden. Nur in Englisch, da wollte man noch mehr von mir hören. Damit war meine Schulzeit leider noch nicht mit diesem einen Tag vorbei, sondern erst Monate später, am 3. Oktober 2007.

Bis dahin habe ich, während meiner einstündigen Zugfahrten zum Zivildienst, die zwei restlichen Bücher gelesen. Und sie waren auch wirklich rasch gelesen, lustig und lesenswert – aber das hat mir ja vor der Matura keiner erzählt. Im Herbst war ich schließlich auch Absolvent des Bundesgymnasiums Gmunden. Aber so gefühlt habe ich mich in Wahrheit schon seit dem 19. Juni. Da war ich abends am See um unser Erfolge zu feiern (ich gab mich stets optimistisch und sprach davon, zumindest jetzt schonmal 4/5 geschafft zu haben). Und wenige Wochen später auch auf der sagenumwobenen Maturareise.

All jenen, die die mündliche Prüfungen noch vor sich haben, sei gesagt: Es ist nicht so schlimm wie alle sagen. Und wenn trotzdem schlimm ist, dann hat man zumindest etwas erreicht, wenn ein lustiger Spruch, der einem trotz der Aufregung über die Lippen gerutscht wird, bei der Maturafeier erwähnt wird. Das ist ja – wenn man niedrige Ansprüche hat – ja auch schon was.

Übrigens: Herr Kofler hat auch über seine Matura geschrieben.

Bildquellen: Mathematik markusspiske / Pixabay :: Oscar Wilde – WikiImages / Pixabay :: Venedig – alejandro365 / Pixabay

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