An den Klippen Lampedusas, vor der Festung Europa sterben Tausende Menschen – doch nur wenige schauen hin.
390 Menschen sterben am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa – sie kamen aus Eritrea und Somalia und waren auf dem Weg in ein neues, ein besseres Leben. Die Journalistin und Autorin Michaela Maria Müller ist im Dezember 2013 eben dorthin begeben. Und erzählt in ihrem Essay „Vor Lampedusa“ ihre Eindrücke. Wie sie am Schiffsfriedhof die zurück gebliebenen Habseligkeiten findet, von Menschen, die im Meer gestorben sind, inklusive der Erkenntnis: „Eines ist sicher: Geld lässt man lebend nicht zurück.“
Sie begegnet bei ihrer Reise zwar nur einem einzigen Flüchtling. Und doch erschaffen die Bilder, die sie durch ihre Erzählungen im Kopf des Lesers entstehen lässt, eine beklemmende Stimmung. Wenn sie z.B. vom süßlichen Verwesungsgeruch von menschlichem Fleisch spricht, oder über die „My dream“-Luftbrücke zwischen Lampedusa und Tripolis (Libyen), die für unzählige Menschen das endgültige Todesurteil bedeutet, obwohl sie es in Wahrheit bereits nach Europa geschafft haben. Man ist sprachlos, traurig, wütend.
Michaela Maria Müller
geboren in Dachau, Deutschland
schreibt als Journalistin und Autorin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und das SZ Magazin. Sie bloggt auf www.vitzliputzli.de.
Für Michaela Maria Müller ist diese Thematik offenbar sehr wichtig: Vor Lampedusa ist ein ausgekoppelter Text aus einem längeren, noch unveröffentlichten Buchprojekt. Und sie betreibt auch einen Tumblr-Blog zu „Flüchtlinge in Europa„. Mit diesem Essay gelingt es Müller, dem Todeskampf vor den Küsten Europas ein Gesicht zu geben. Durch die Namen, die auf den gefundenen Habseligkeiten vermerkt sind oder durch diesen einen schwarzen Flüchtling mit den Armbändern. Ihre Erzählung schafft es, eine sehr persönliche Beobachterperspektive entstehen zu lassen – und vielleicht trägt sie auch dazu bei, uns EuropäerInnen etwas beim Verstehen zu helfen. Deshalb bin ich natürlich auf Müllers weiteres Buchprojekt gespannt – vielleicht kann ich es dann gleich neben „Im Meer schwimmen Krokodile“ ins Regal stellen – einem sehr großartigen Werk über das Thema Flucht aus der Sicht eines Flüchtlings selbst.
Die Soldaten verladen die Flüchtlinge wieder auf den Militärlaster und bringen sie zurück ins Lager, wo das Warten weitergeht und die Verhöre sich wiederholen. „Setz dich. Woher kommst du? Welche Sprache sprichst du? Woher hattest du das Geld für die Überfahrt? Bist du Terrorist?“
Dieser kurze Reisebericht von Michaela Maria Müller bleibt stets unaufgeregt und schildert sehr persönlich die erfahrenen Eindrücke: Wäre Flucht allein nicht schon schwer genug, so bekleckert sich Europa nicht gerade mit Ruhm im Umgang mit Flüchtlingen. Dass man sie mitunter in den sicheren Tod zurückschickt, ist selten einem Medium eine Geschichte wert. Das ist traurig und zeigt die Wichtigkeit dieses Essays auf. Aber alles in allem macht Vor Lampedusa trotz der furchtbaren Thematik Lust auf mehr Erzählungen der Autorin.
Michaela Maria Müller
Vor Lampedusa
Eine Reise
Verlag Frohmann
Preis: 2,99 Euro (eBook)
31 Seiten
Transparenz: Ich bedanke mich beim Verlag Frohmann für die Zusendung eines kostenlosen Rezensionsexemplares.
Bildquelle des Autorenbilds: © Christian Kielmann (mit freundlicher Genehmigung von Michaela Maria Müller)
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