Ein Birkensommer wie damals

SarahBeitrag

Vor ein paar Jahren war ich noch viel wanderlustiger, damals hatte mich der Ernst des Lebens auch noch nicht so im Griff wie heute. Und ich hatte in einem Sommer vor ungefähr einem Jahrzehnt oder länger ein ziemliches Schlüsselerlebnis.

Ich war ein Mädchen, nicht sehr hübsch, nicht sehr schlank, kaum ausgeprägter Charakter, einfach in meiner Musik zurückgezogen und eines schönen Wochenendes war ich mit meiner Firmgodi und ihrem damaligen Freund unterwegs. Wir fuhren Frühschoppen, trafen dort ein paar Freunde von ihnen und ich fühlte mich nicht wirklich mit den Leuten verbunden oder auch nur irgendwie dazugehörig, kannte ich doch niemanden als die Godi und den Freund von ihr, mittlerweile ihr Ehemann.

Es war zwar ganz nett neue Menschen kennen zu lernen, aber ich interessierte mich nicht sonderlich für sie, war ich doch in meinem Weltenschmerz der Pubertät so tief versunken, dass ich einfach weder ein noch aus wusste.

Der verschlossene, ruhige Teenager von damals existiert zum Glück heute nur noch auf diesem imaginären Papier. Doch das änderte sich mit der kleinen Wanderung an diesem Nachmittag.

Zu Beginn zog ich weg wie nichts, überholte alle anderen, folgte der Wanderspur und war ruhig und glücklich in meine Musik versunken, aber schön langsam ging mir die Puste aus, nach und nach überholte man mich und ich folgte ziemlich geschlaucht den anderen.

Da war ich wieder einmal. Allein, unsportlich, als Letzte von vielen und es pisste mich an. Ich ließ mir immer mehr und mehr Zeit, fühlte mich noch niedergeschlagener als zuvor und rümpfte die Nase und plötzlich kam mir ein Gedanke: in der Ruhe liegt die Kraft.

Somit blieb ich stehen und sah mich bewusst einmal um. Er stand da und wartete auf mich. Ruhig, kraftvoll, wirkte einladend und so wunderschön, dass ich mir wirklich dachte, noch nie etwas so wundervolles gesehen zu haben.

Ein Birkenbaum.

Birke

Alt, weiß, weise, unvorstellbar.

Sein bloßer Anblick gab mir Kraft, die ich so dringend nötig hatte. Der Weg war noch lange, das konnte ich spüren und doch wusste ich, dass es machbar war, dass ich es schaffen konnte, wenn ich nur den Baum umarmte.

Natürlich war er viel zu groß um ihn vollkommen zu umschließen, doch es zahlte sich aus. Ich wurde plötzlich zum Baumumarmer und dieses Gefühl, dass ich es schon schaffen würde, egal was das Leben für mich bereit hielt, egal wie lange der Weg dauerte bis ich ankam, ich würde es schaffen.

Auch diese Wanderung. So bedankte ich mich bei dem Baum und setzte einen Schritt nach den anderen. Immer weiter bis ich aus dem Wald hinaus kam und auf dem Weg zur Alm nochmal einen Zahn zulegte.

Oben angekommen war ich beflügelt. Die frische Luft, mein allererster großer Radler, das traumhafte Wetter und diese neuen Menschen, die ich zuvor gekonnt ignoriert hatte, mit denen ich aber im Moment viel Spaß hatte, die mir von ihren Jugendjahren erzählten und mir erklärten, dass es nicht leicht war so jung zu sein und doch schon alles zu verstehen.

Am Rückweg unterhielt ich mich mit meiner Godi, die war und ist (auch wenn wir uns nur mehr ganz selten sehen) eine unglaubliche Vertrauensperson für mich und erzählte ihr von „meiner“ Birke, die so wunderbar und großartig war, die mir Kraft und Vertrauen und Zuversicht gespendet hatte und ich wollte sie ihr zeigen, konnte sie aber nicht wieder finden und das tat mir leid, ich wollte mich einfach noch einmal bei ihr bedanken.

Der Gedanke an diesen Wunderbaum, der mir einfach bis heute nicht aus dem Sinn geht, beruhigt mich, lässt mich alles machbar erscheinen.

Es war eine schöne Wanderung, an einem Sommertag, irgendwo mitten im Nirgendwo, im tiefsten Almtal.


SarahSarah

hatte früher ihren eigenen Blog, ist mittlerweile am Zieleinlauf zum 30er und hat literarische Ambitionen auf ein paar wenige, außergewöhnliche Ausnahmen beschränkt. Sie liest, putzt und kocht gerne. Auf Twitter als @lambovichka. Und ganz frisch wieder im Blogbusiness: oceanporn.wordpress.com

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