In Schwarz, Grau und Dunkelblau.

Als die Zeit abgelaufen ist, versucht er noch rasch sich eine Lösung ins Gedächtnis zu rufen. Ohne sie auch nur ansatzweise zu wissen. Die Panik vor dem Ende, das Auskosten der letzten Möglichkeit, etwas an der Entscheidung zu ändern. Die Lehrerin räuspert sich, er blickt auf und sie zieht dabei die zwei Papierbögen unter seinen Händen heraus. „Es war lange genug Zeit.“, sagt sie in einem etwas bissigen Ton und macht weiter ihre Runde beim Einsammeln der blamablen Ergebnisse. Die Pause hat bereits begonnen. Er hat ja nur noch die Nachspielzeit ausgenützt, jetzt muss er sich beeilen. Packt seine Stifte in die Tasche, verlässt das Klassenzimmer und schließt die Tür hinter sich weniger leise als beabsichtigt.

Sie waren doch irgendwo, er hatte sie ja vorhin noch gesehen, aber. „Hättest du vielleicht eine?“, schnorrt er sich bei einem Mitschüler durch. Das passiert ihm oft. Und er denkt sich: ‚Was, wenn das alles vielleicht auch einfach nicht meine Sache ist. Wenn ich mich da nur durchquäle, weil ich nicht weiß, was ich stattdessen tun könnte? Weil mir die Alternativen fehlen, oder ich sie mir einfach nicht vorstellen will?‘ Die anderen Jugendlichen hier am Raucherplatz lachen, unterhalten sich, haben Spaß. Er lehnt bemüht cool an der Wand, zieht langsam an seiner Zigarette, hört, wie die Schulglocke drinnen läutet, blickt in die Ferne. Es wird leerer. Er bleibt stehen. ‚Aber ich will es nicht verlieren. Nicht die Freunde hier und nicht dieses Sich-um-nichts-Sorgen-machen-Müssen, das in Wahrheit nicht einmal ansatzweise existiert. Es ist nicht leicht.‘ Nein, das ist es nicht.

Abends oder auch spät in der Nacht malt er. Das weiß nur keiner. Das ist sein kleines Geheimnis, sein tiefstes Innerstes. Düstere Bilder, mit viel Schwarz und Grau und Dunkelblau. Die Ölfarben sind Ausdruck seiner Gefühle. Jener Gefühle, über die er nicht reden kann oder nicht will. Die vielleicht nur mithilfe von Farbe erfahrbar sind. ‚Ich hätte mehr lernen können. Aber ich konnte nicht.‘ Weil das Leben eben manchmal nicht so mitspielt. Und diese verdammte Schule nicht weiß, was in den Leben der Schüler vor sich geht.

Diese verdammte Schule weiß so verdammt wenig über diese jungen Menschen. Will es nicht wissen, will doch einfach nur lehren, will lehren zu funktionieren. ‚Und vielleicht funktioniere ich ganz einfach nicht.‘ Vielleicht kann man auch gar nicht funktionieren. „Er fragt, wo du bist“, schreibt ihm jemand, „Komm schnell rein.“ Er schnippt die Zigarette, die schon vor einer halben Minute das letzte Stückchen Tabak verglühen ließ, weg, geht schnellen Schrittes rein. Zurück in die Klasse. Zurück auf seinen Platz. „Tschuldigung“, sagt er gesenkten Kopfes. „Ich musste noch eine Lösung für etwas finden.“ Der Lehrer nimmt diese schwache Ausrede etwas missmutig zur Kenntnis.

Und doch hat es auch heute nicht funktioniert.

Selbst wenn man gut vorbereitet ist, selbst wenn man denkt, alles zu können, kommt doch manchmal diese eine Frage, auf die einem die Lösung fehlt. Und die einem einfach nicht einfallen will. Es wird, und das wird er Jahre später erst so richtig erfahren, für manches niemals eine Lösung geben. Selbst wann man nicht reinpasst, wenn man nicht funktioniert, läuft man trotzdem auf Sparflamme, funktioniert ja irgendwie trotzdem.

Nur wenn er malt, funktioniert er ganz und gar nicht. Dann ist er in seinem Element. Dann ist er in seiner Welt, wo funktionieren nicht angebracht und die Anforderungen selbstbestimmt sind. Darin hüllt er sich ein. In Schwarz, Grau und Dunkelblau. Und ist glücklicher als irgendwo sonst.

Bildquelle: werner22brigitte / Pixabay

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