Ich hole sie vor den Vorhang: Wer sind diese Worthelden, die mich mit ihren literarischen Texten auf ihren Blogs verzaubern? Diesmal hat Sarah meine zehn Wortheld-Fragen beantwortet.
Wer bist du und wenn ja, warum?
Ja: Wer ist man? Ich glaube, dass man viele verschiedene Personen gleichzeitig ist, abhängig vom Kontext, in welchem man sich bewegt. Für meine Eltern bin ich jemand anderes als für meinen Chef oder meine Freunde oder auf Twitter oder als Schriftstellerin. Für mich müsste die Frage also eher lautet: Für wen hältst du dich? Oder ich müsste fragen: Wer denkst du, bin ich? Deshalb finde ich den Begriff der Authentizität, der heutzutage sehr inflationär gebraucht wird, auch äußerst problematisch im Bezug auf Personen. Ich kann mir keine authentische Person vorstellen, bzw. für mich ist Authentizität eher etwas, was in Bezug auf eine Person nur temporär und in einem bestimmten Kontext zutreffen kann – quasi nur einen Moment lang und dann ist es auch schon wieder vorbei. Etymologisch geht der Begriff Person auf altgriechisch prosôpon (Maske, Rolle, Angesicht) zurück – das heißt für mich, im Begriff selbst befindet sich schon ein Moment der Distanz zu sich selbst. Zumindest finde ich diesen Gedanken literarisch spannend und konstruiere gerne Figuren, die keine ganz eindeutige Persönlichkeit besitzen bzw. sehr polyvalent sind, abhängig vom Kontext, in welchem sie sich bewegen und von wem sie wahrgenommen werden. Ich kann deine Frage also nicht wirklich beantworten. Ich kann dir höchstens ein paar Eckdaten nennen: Ich bin Sarah, 30 Jahre alt, lebe in Berlin, bin Schriftstellerin, veröffentliche auf meinem Blog und anderen Blogs, arbeite an meinem zweiten Roman, es gibt Menschen, die mich mögen und andere, die mich scheiße finden und ich bin ein sehr kritischer Mensch, in Bezug auf mich selbst und auch auf die Welt.
Und wie viel davon steckt in deinen Texten?
Von mir steckt das in meinen Texten, was ich erzählen will. Oder zumindest das, was andere darin lesen wollen. Einen Autor zu fragen, worüber er schreibt, finde ich absurd. Ich kann nicht rückwärtsgehen. Was schade ist, denn könnte ich durch die Zeit reisen, würde ich grundsätzlich rückwärtsgehen, statt vorwärts. Wenn ein Text fertig ist, ist er fertig. Ich habe mich dann schon zum Ausdruck gebracht. Ich kann darüber nicht mehr sagen, als das, was im Text steht. Grundsätzlich kann ich aber sagen, dass mich philosophische Themen faszinierend und das Dunkle, Abgründige im Menschen. Z.B. fasziniert mich die Tatsache, dass man als Individuum gleichzeitig Subjekt und Objekt ist – dass das Ich also immer in ein Subjekt-Ich und Objekt-Ich geteilt ist bzw. gleichzeitig diese verschiedenen Ichs ist. Dieser Gedanke hält mich fest, seit ich das erste Mal den kleinen Aufsatz Urteil und Sein von Hölderlin gelesen habe. Ich frage mich dann, wo sich dieser Gedanke in der Lebenswelt zeigt, Z.B. dann, wenn man merkt, dass man vom Anderen gar nicht richtig verstanden wird oder den Anderen gar nicht richtig verstehen kann. Ich frage mich, wie Kommunikation möglich ist, wenn das Selbst immer auch die Vorstellung des eigenen Ich im Anderen ist. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass der einzige sinnvolle erzählerische Standpunkt die Ich-Perspektive ist. Ich schreibe meine Texte konsequent und drängend aus dem Denken meiner Protagonisten heraus. Die Geschichten spannen sich im Gedankenstrom der handelnden Ichs auf, in einer Welt, die alles böte, um glücklich zu sein und die in ihren Teilnehmern nur Leere hinterlässt. „Was machen wir mit unserem Gefühl, dass die ganze Welt falsch ist?“ – Als Sinnbild der gegenwärtigen Befindlichkeit fungiert mir der nicht zu realisierende Wunsch nach Nähe bzw. das Bedürfnis, sich gänzlich in einem anderen Individuum aufzulösen – ich zeige die Generation Y vor allem als Generation eines inneren Scheiterns.
Seit wann und warum schreibst du eigentlich?
Einer der schönsten Momente in meinem Leben war, als ich meinen beiden engsten Freunden im ersten Semester Philosophiestudium unter zitternden Lippen einen Text von mir vorlas und sie schier ausgeflippt sind, weil sie ihn so gut fanden. Ich war damals ein sehr stiller Mensch und dieser Moment war schön, weil ich mich verstanden gefühlt habe. Ich habe dann für mich selbst begriffen, dass das literarische Schreiben meine Ausdrucksform ist und dass ich anderen damit etwas (von mir) geben kann. Ich habe lange vor diesem Moment angefangen zu schreiben. Schon als Kind war meine Phantasie erzählerischer Natur und später dann habe ich alles aufgeschrieben – eher für mich, aufgeschrieben, was mir so durch den Kopf ging, meine Gedanken sortiert. Oft hat mir das Schreiben ins Tagebuch z.B. einfach geholfen, mich und meine Umwelt zu verstehen oder ich habe mir die Welt einfach schöner oder dramatischer geschrieben. Aber dass diese Texte, die ich ständig für mich schrieb, eigentlich literarischer Natur sind, habe ich erst in diesem Moment begriffen.
Was macht dich sprachlos?
Vor Kurzem habe ich einer Frau geholfen, den Kinderwagen die Treppe runter zu tragen – da war ich kurz sprachlos über mich selbst, weil ich das als eine gute Tat empfand. Eigentlich ist das keine gute Tat. Eigentlich ist das eine ganz normale Handlung ohne moralische Komponente. Eigentlich sollten wir nichts anderes tun – zumindest sollte sich gegenseitig helfen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft an erster Stelle stehen.
Wo befindet sich dein kreativster Ort?
In der Vergangenheit. Im Ekel schreibt Sartre: „Es gibt nur leben oder erzählen.“ Ich denke, ein Autor befindet sich immer im Modus des Erzählens – für ihn gibt es kein Leben. Ein Autor, der lebt, hat seinen Beruf verfehlt. Deshalb sitze ich jetzt auch hier am Pool mit Meerblick und tippe in meinen Laptop, statt so zu tun, als wäre die Welt in Ordnung und eine Runde schwimmen zu gehen, weil ich sonst so gestresst bin. Wir haben all das erfunden. Wir haben die Welt erfunden, so wie sie ist. Wir haben unseren Stress erfunden und dann haben wir den Urlaub erfunden und wir haben die Notwendigkeit erfunden, Dinge zu besitzen und Verlustängste zu haben und dann haben wir die Kreativität erfunden, um irgendwie damit umgehen zu können, dass eigentlich nichts in Ordnung ist. „Einer geht immer auf und ab.“ Schreibt Herrndorf in Arbeit und Struktur: „Das ist das Traurige.“
Wer oder was inspiriert dich?
Mich inspiriert das, was ich wahrnehme und mich zum Nachdenken bringt. Das können meine Freunde sein oder ein literarischer Text oder ein philosophischer Gedanke oder ein Fremder in der U-Bahn. Es ist ein plötzliches auf mich Wirken der Welt und kaum steuerbar. Ich ertappe mich oft dabei, wie ich Dinge, die ich gerade wahrnehmen, zeitgleich in literarische Sätze formuliere – wie ich einfach so anfange, zu erzählen. Deshalb habe ich immer ein Notizbuch dabei oder einfach Twitter – um schnell mal einen Satz los werden zu können, um mich später, wenn ich Zeit zum Schreiben habe, daran zu erinnern. Generell bin ich fasziniert davon, dass die Welt so ambigue ist – dass es immer zwei Seiten gibt, eine beleuchtete und eine überschattete und die überschattete finde ich oft spannender. Mich fasziniert, dass man einfach so auf der Welt ist, ohne sich wirklich dafür entschieden zu haben. Niemand wurde vorher gefragt. Wir sind in die Welt Geworfene und dann müssen wir irgendwie ein Leben führen. Mich inspiriert das Leben, die zwischenmenschlichen Differenzen, das Leiden an sich selbst. Ich weiß oft selbst nicht, wie ich mit dieser ambivalenten Welt umgehen soll. Meine Fähigkeiten beschränken sich aufs Denken und Schreiben. Ich glaube aber, dass auch diese Fähigkeiten ihre Berechtigung haben, dass es auch die Menschen geben muss, die tief in sich eingreifen oder sich aufreißen und ihre Sinnlosigkeit reflektieren. Wie gesagt: Wir haben all das erfunden.
Wie viele Entwürfe verstecken sich in deinem Blog?
In meinem Blog steckt meine literarische Entwicklung der letzten vier Jahre. Er markiert den Zeitpunkt, an welchem ich mich gänzlich dafür entschieden habe, nicht mehr nur noch für mich selbst zu schreiben, sondern auch als Schriftstellerin wahrgenommen werden zu wollen. Ich veröffentliche viele Prosaminiaturen, die erst Mal nur für sich stehen und dann oft von mir später in einen größeren Kontext gestellt werden. Im Großen und Ganzen ist mein Block aber eher mit einem Entwurfordner zu vergleichen – manchmal hilft es mir, einen Text einfach zu veröffentlichen um ihn los zu sein, um mir selbst das Gefühl zu geben, fertig mit einer Sache zu sein. Als Künstler hat man ja das Problem, keine wirklich fertigen Produkte zu haben, die man dann einfach verkaufen könnte. So ein Blog ist dann hilfreich, für sich selbst zu dokumentieren, woran man gerade arbeitet und anderen die Möglichkeit zu geben, daran teilhaben zu können.
Bist du kreativer, wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?
Ich schreibe immer und wenn ich schreibe, bin ich glücklich.
Was ist dein ganz persönlicher, selbst geschriebener Herzenstext?
Ich bin zu selbstkritisch und zu arrogant zugleich, um auf diese Frage zu antworten. Aber als ich z.B. selbstportrait #0 geschrieben habe, war ich danach sehr glücklich, weil mich dieser Text zu einem ganz neuen Stil geführt hat, den ich seitdem sehr konsequent bearbeite.
Welche drei literarischen Blogger möchtest du empfehlen?
Ich empfehle von Herzen Sebastian van Roehlek, für mich einer der besten zeitgenössischen Autoren überhaupt.
Als zweites kommt mir der Blog von Kristoffer Cornils in den Sinn, den ich gerade kürzlich erst selbst entdecken dufte. Es ist eine spannende Mischung aus literarischen Notizen und Prosatexten auf Deutsch und Englisch und Texten über Musik, Bands, Labels, Clubs usw. usf. – mir gefällt sehr, wie harmonisch die verschiedenen Genretexte und musikalischen Beiträge ineinander übergehen – als wäre der Blog selbst ein sehr gelungenes Mix Tape.
Und dann empfehle ich noch die Blogs Klischeeanstalt und 54Stories – beides sind sehr gute und durchdachte Sammlungen zeitgenössischer Netzautoren.
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One thought on “Sarah Berger • Wortheldin November 2015”