Simon Scharinger • Wortheld Oktober 2015

Ich hole sie vor den Vorhang: Wer sind diese Worthelden, die mich mit ihren literarischen Texten auf ihren Blogs verzaubern? Diesmal hat Simon meine zehn Wortheld-Fragen beantwortet.

Wer bist du und wenn ja, warum?

Ich heiße Simon Scharinger. Ob ich das auch bin, ist eine ganz andere Sache. Mit dem Lauf der Jahre ändert sich die Beschreibung der eigenen Person immer wieder, nie scheint sie ausreichend oder zutreffend zu sein. Man versucht sein „Selbst“ zu finden und pirscht einer inneren Ruhe und Mitte nach, die es doch gar nicht gibt. Das Ich ist, wie alles andere auf dieser Welt, unstet. Man ist immer so viele Dinge gleichzeitig und häufig stehen diese Dinge auch noch im Gegensatz zueinander. Deshalb habe ich aufgegeben, mich als etwas zu inszenieren, was ich niemals sein kann: Ein klar definierter Mensch, mit fixen Einstellungen und Ideen, mit ewig gleichem Aussehen. Aber das ist in Ordnung so und eigentlich recht schön. Vermutlich menschlich. Auf alle Fälle hilft es einem beim Weinen und Verzweifeln, was für künstlerische Prozesse wohl unabkömmlich ist.

Geboren wurde ich 1991 in Oberösterreich, im Innviertel, wo ich Kindheit und Jugend verbracht habe. Großgezogen wurde ich vom Volksmund. Soweit ich mich recht erinnern kann, war ich schon immer unglaublich fahrig im Kopf und habe lieber mit Gedanken geturnt, als auf Bäumen. Das ländliche Surren gibt einem jungen Menschenkopf viel Entfaltungsmöglichkeit und Raum für Überlegungen. Nachdem ich die Oberstufe mit Matura abgeschlossen habe, zog ich erstmals an einen anderen Ort, um meinen Zivildienst dort abzuleisten. Mit dieser einprägsamen Erfahrung im Leib, die mehr Fragen als Antworten aufgeworfen hat, packten ein Freund und ich die Rucksäcke und reisten dann 7 Monate lang, mit den Daumen in der Höhe, quer durch Thailand Australien Neuseeland und Kalifornien.

Seit 2011 lebe ich nun schon in Wien. Dort schreibe ich zum einen und versuche die Qualität und auch Quantität meiner Poesie immer ein Stückchen mehr in die Höhe zu treiben. Dort habe ich auch einige Semester Germanistik studiert und mir mein Geld als Verkäufer in einem Teehaus verdient. Dort musiziere ich mit sieben Freunden, die mit mir die Gesangskapelle Hermann bilden. Wir singen und raunzen uns in der Wiener Hermanngasse die Stimmen wund, beklagen die Missstände der Welt. Allerdings nicht so schwer, wie ich das in meinen Texten tue, sondern unheimlich leicht und mit viel Witz. Seit Anfang Oktober studiere ich Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar. Schon in den ersten Wochen hat sich gezeigt, wie sehr dieses neue Studium eine Arbeit an mir selbst sein wird, wie notwendig und bereichernd es ist für meine Entwicklung und mein künstlerisches Aufblühen.

Und wie viel davon steckt in deinen Texten?

Meine Texte spiegeln das Hadern mit der Welt wider, das Verrückt-Werden an ihr. Diese Zweifel an der Wirklichkeit führen zwangsläufig zu einer bestimmten Art von Sprachkritik, die all meinen Texten innewohnt. Verbunden mit einer Leidenschaft am Spiel mit Worten, ummantelt von einem sphärisch musikalischen Etwas, zeige ich verschiedene Möglichkeiten auf, die ein Text gehen kann, durch die er sich aber auch relativieren lässt. Nicht selten heble ich mit einem Satz den zuvor geschriebenen Satz aus seinen Angeln und stelle die Alternativen entgegen. Angestoßen durch die Uneindeutigkeit und die Unklarheit meiner Gedanken werden auch in meiner Poesie Wege eingeschlagen, die über Bedeutungsbarrieren hinweg preschen und keinem Sinn zugute kommen. Ich behelfe mir häufig intertextueller Mittel, füge Sprichwörter und Aphorismen in mein Schreiben ein, spreche durch den sogenannten Volksmund und will ihm so die Zunge zu brechen. Das passiert zumeist in einer Verbindung von recht konkret klaren Aussagen mit freien Assoziationsketten, die sich dem Moment beugen und keinen Wert legen auf irgendeine Richtigkeit. Ich hoffe so, der Wirklichkeit ein wenig näher zu kommen, die ja auch keinen Wert auf Richtigkeit legt.

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Im Schreibprozess verhäcksle ich nacheinander Facetten meines Alltags, tatsächliche Erlebnisse, Geschichten von Freunden, Träume, Klischees, billige Sprachspielereien, Redewendungen, Wörter und Unwörter des jeweiligen Jahres, Empfindungen, freie Assoziationen, phantastische Elemente und vieles mehr. Dann menge ich noch einzelne Worte bei, die ich vielleicht vor kurzem erst entdeckt habe und als schön erachte, und versuche aus dem unübersichtlichen Fetzenhaufen einen Text zu basteln. Man kann also sagen, dass in der Tat recht viel von meinem Ich in meinen Texten steckt. Bestimmt nicht so etwas wie eine klare Meinung oder konkret persönliche Erlebnisse, oft befindet sich vermutlich sogar die eine oder andere Idee in meinen Sätzen, die ganz und gar nichts mit mir zu tun hat. Aber trotzdem erlebe ich immer wieder so etwas wie eine Katharsis, wenn ich diesen angesammelten Ballast auf Papier bringe.

Seit wann und warum schreibst du eigentlich?

Mein Interesse an Sprache und Geschichten war zwar schon als Kind recht groß, dennoch wurde das wirkliche Feuer erst in der Oberstufe gelegt. Während ich zuvor bloß gerne las, Gute-Nacht-Erzählungen lauschte und mir mit Sinnsprüchen die Pubertät erleichterte und erklärte, begann ich zu dieser Zeit meine ersten eigenen Gedichte zu verfassen. Recht plump und pathetisch selbstredend. Und trotzdem: Die Unterstützung und Begeisterung meines damaligen Deutschprofessors, die Zustimmung unter Freunden, hat die Leidenschaft noch weiter geschürt. Immer mehr wurde das Schreiben ein Teil von mir, immer mehr habe ich es dazu verwendet, meinen Sorgen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Die Produktivität variiert natürlich von Zeit zu Zeit, aber dennoch habe ich mir eine gewisse Stetigkeit bewahren können. Die Frage nach dem Warum hat sich nie gestellt. Ich spüre seit diesen Jahren eine Notwendigkeit in mir und gehe dieser nach.

Was macht dich sprachlos?

Anfang September habe ich in einem Literaturcafé unter meinem Namen eine Lesung veranstaltet, mit dem Titel „Warten auf Nichts“. Der relativ kleine Raum war zum Bersten voll mit lieben Menschen, mit Bekannten, Freunden und Familie. Ich durfte in etwa fünfzig leuchtende Augenpaare blicken, die mir ihre vollste Aufmerksamkeit schenkten. Es herrschte eine unbeschreibliche Bereitschaft des Zuhörens an diesem Abend, die klirrende Stille zwischen den Texten war kaum auszuhalten. Die Küsse und Umarmungen, die Komplimente und auch die Kritiken danach waren allesamt ehrlich und wohlwollend. Nicht in Worte zu fassen. Alleine vor so vielen Menschen zu sitzen, die man unsagbar gerne hat, könnte eigentlich auch Angst machen. Ihnen auch noch das eigene Innerste zu präsentieren noch weit mehr. Und trotzdem war ich während des Lesens von nichts anderem erfüllt, als von Dankbarkeit und Glückseligkeit. Noch jetzt, wenn ich an den anschwellenden, nicht mehr enden wollenden Applaus denke, bin ich absolut sprachlos und überwältigt.

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Wo befindet sich dein kreativster Ort?

Die örtliche Gegebenheit ist in meinem Falle nicht von sonderlicher Bedeutung. Der Schreibprozess an sich, und der findet zumeist am Schreibtisch oder in verschiedenen Cafés statt, verläuft bei mir eher unspektakulär und äußerst handwerklich. Nicht das eigentliche Schreiben, sondern das Davor bildet den künstlerischen Teil meiner Arbeit. Und mein kreativster Ort ist deshalb der Alltag, wenn man so will. Das Gedanken-Sammeln, wenn ich durch die Gassen Wiens spaziere. Die Ideen, die mir einschießen, wenn ich Leute in der Straßenbahn beobachte. Sprüche, die ich an Werbetafeln lese und sprachliche Besonderheiten, die mir im Gespräch mit Menschen auffallen. Ein schöner Satz während einem Theaterstück, eine Textzeile aus einem Lied, grundsätzlich liefern Orte der Kunst, Bühnen und Konzerträume guten Input. Die üblichen Tagträume ebenso. All das kritzle ich in meine Notizbücher oder spreche mir Erinnerungen ins Handy, damit ich am Ende hin alles zu einem Text zusammenfügen kann.

Wer oder was inspiriert dich?

Meine gesamte Umgebung inspiriert mich, am meisten aber zwischenmenschliche Beziehungen. Die Art und Weise, wie Menschen gemeinsam zu leben beschließen. Politik im weitesten Sinne also. Die Verträge, die sie sich dafür aushandeln. Die Wertvorstellungen, die sie teilen und um die sie sich häufig streiten. Die Ängste und Sorgen, die ihnen allen gemein sind und die sie alle zu verbergen versuchen. Ihr Schauspiel, ihre Regie. Ihre Unstetigkeit und ihr Scheitern. Ihre Einsamkeit und ihre Traurigkeit. Und die Kunst, die viele von ihnen produzieren. Ich bin zum Beispiel wahnsinnig interessiert an Tanz und Performance – bemüht Brücken in diese Richtung zu schlagen. Und dann auf gleicher Ebene ist da natürlich noch die Sprache an sich, die mich so begeistert. Die Wirklichkeit, die durch sie entsteht und die man mit ihr auch brechen kann.

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Wie viele Entwürfe verstecken sich in deinem Blog?

Ich schreibe alle meine Texte immer zuerst mit Stift und auf Papier. Da wird natürlich des Öfteren ein Blatt zerknüllt und weggeworfen. Aber Online-Entwürfe gibt es tatsächlich keine hinter meinem Blog.

Bist du kreativer, wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?

Am kreativsten werde ich in der Verzweiflung, welche ich nicht zwangsläufig an die Traurigkeit gebunden sehe. Erst wenn sich Fragen und Chaos auftun und ich mich nach Ordnung und Benennung sehne, beginnt mein Schreiben. Und das kommt häufig vor, um ehrlich zu sein. Ich zerbreche mir den Kopf am Leben und seinen Strukturen, an den vielen Unstimmigkeiten, an den vielen Farben. Oft ertappe ich mich beim Wunsch nach einer schwarzweißen Welt; eine Sehnsucht nach klarem Gut und Böse, einem Richtig und einem Falsch. Aber die Komplexität des Lebens lässt sich auf diese Art eben nicht erfassen, mit den Worten „glücklich“ und „traurig“ ist das ähnlich. Dichotomien führen bloß in ethisches und persönliches Verderben. Man bekommt eine so große Welt einfach nicht in so kleine Menschenköpfe hinein. Und das ist auch gut so. Denn auch, wenn man dadurch tatsächlich an der Wirklichkeit zweifeln muss, ist für mich genau dieser Zustand wahnsinnig fruchtbar. Sich einen Weg durch das Gestrüpp von Ungereimtheiten schlagen und vielleicht auf eine kleine Lichtung stoßen und darüber Glück empfinden. Denn eine Sache stimmt auf alle Fälle: Wenn ich kreativ bin, bin ich glücklich.

Was ist dein ganz persönlicher, selbst geschriebener Herzenstext?

Ob Herzenstext ist fraglich, aber ein Text, der meine Verzweiflung an Sprache und Wirklichkeit ganz gut trifft, ist folgender, mit dem Titel „Nach einem langen Arbeitstag“:

Durchflohtes Nachtgeschwämm ziehen deine Augen, deine dreckigen, deine dich bestimmenden Augen. Amöbengleich servierst du mir durch stierendes Blau ein Risotto unserer vergehenden Liebe und es bekommt noch verklebter und zäher als sonst Etwas, noch abgelabter als holzverdorbenes Gestampfe mitten in einem Meer aus zurückgeschlagenen Haaren. Und deine Ohren, deine Ohren wollen mich mitverdauen und deine spänenden Töne wollen hinaus. Hinaus mit dir und gangend in das Vergnügen, dorthin wo der Spaß sterben geht und noch weiter hinauf die Leiter des menschlichen Scheiterns. Schreitend über köchelndes Morchelmus, vor dir her und hin, mit blondem Sorgenparfait. Komm, wir gehen und warten bis alles durchbrennt und kokelt. Lass uns gedulden auf ein Oder.

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Matthias G. Kreitner
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