Emma denkt. • Wortheldin August 2017

Emma denkt. begeistert auf Facebook mehr als 85.000 Menschen. Auch ich bin schon vor langem über ihre Worte gestolpert, bin hängen geblieben und lasse mich von ihr regelmäßig an der Hand nehmen und vor den Kopf stoßen. Deshalb freut es mich außerordentlich, sie als Wortheldin dieses Monats begrüßen zu dürfen!

1. Wer bist du und wenn ja, warum?

Das frage ich mich auch oft. Ich könnte an dieser Stelle meinen Namen nennen, Michèle, mein Alter, 36, vielleicht noch Wohnort aufzählen, Beruf, Lieblingsbands. Die Frage danach, wer ich bin, geschweige denn warum, wäre damit aber nicht einmal im Ansatz geklärt. Augenblicke, in denen es mir vorkommt, als wäre ich jemand, halten sich offen gesagt die Waage mit solchen, da es mir scheint, als wäre ich so etwas wie ein lose zusammengesteckter Strauss Tulpen. Eine veränderliche Anzahl an Teilchen, die mehr zufällig als bewusst für eine bestimmte Zeit am selben Ort verweilen und sich gegenseitig mal argwöhnisch bis neugierig beäugen.

Illustration: Sarah Hügin

2. Bist du das „Ich“ in deinen Texten?

Bei manchen Texten fühlt es sich so an, bei anderen nicht. Emma denkt. ist kein Tagebuch oder dergleichen. Viele Situationen, Dialoge und Szenen denke ich mir spontan aus und verknüpfe sie während dem Schreiben mit persönlichen Gedanken, Sichtweisen und Emotionen zum jeweiligen Thema. Mein »Ich« ist entsprechend wohl in jedem meiner Texte gegenwärtig – mal lauter, mal leiser, mal unmittelbar, mal bloss angedacht, mal für alle sichtbar hingeworfen, mal beinahe unmerklich zwischen den Zeilen verwoben.

3. Welches Datum trägt dein allererster Text und warum fasziniert dich das Schreiben?

Der Liebe zum Schreiben ging für mich eine langjährige Liebe zum Lesen voraus. Meine Kindheit verbrachte ich zu einem grossen Teil mit Büchern, es gab wenig Schöneres für mich, als ein Buch aufzuschlagen und in dessen Geschichte einzutauchen. Mit dem Schreiben fing ich im frühen Jugendalter an. Bis zum ersten öffentlich geteilten Text vergingen nochmals beinahe zwanzig Jahre.

Zum Warum habe ich in der Vergangenheit einmal etwas geschrieben, was für mich noch immer stimmt: Was ich mit all dem erreichen möchte? Mit Worten einen Zugang zur unfassbaren Vielfalt an Gedanken und Gefühlen zu finden, die in so manchen unserer Köpfe und Herzen weilt. Ich glaube daran, dass der Versuch, sich in andere Erlebens- und Sichtweisen hineinzuversetzen, bewusst mit- und nachzufühlen uns einander tatsächlich näher bringen kann. Einander und damit immer wieder auch uns selbst. Nicht umsonst sind Emotionen Herdentiere.

4. Was kannst du nicht in Worte fassen?

Auf Anhieb vieles, eigentlich sogar das meiste dessen, was sich mir ins Leben wirft. Ich glaube, auch deshalb schreibe ich. Weil ich mich mit dieser Sprachlosigkeit nicht auf Dauer abfinden will oder kann. Weil sie mich herausfordert, für all das Neblige, nicht Fass- und Benennbare, als was sich am Leben sein anfühlt, vielleicht doch noch Worte zu finden.

5. Wo kommen dir die besten Ideen?

Für gewöhnlich schreibe ich morgens im Zug zur Arbeit oder spät abends, auf meinem Küchentisch sitzend. Viele meiner Texte tippe ich via die Notizfunktion in mein Telefon. Das klingt komplett unromantisch, aber die weisse Weite eines leeren Blatt Papiers oder offenen Textfiles auf einem Bildschirm schüchtern mich hin und wieder ein. Mit den sehr fassbaren Grenzen eines Smartphone-Displays fühle ich mich oft wohler, irgendwie »sicherer«.

6. Wer oder was inspiriert dich?

Ich beschreibe mich selbst hin und wieder als eine Art »Schwamm«. Ich nehme auf, was um mich herum ist, abläuft und geschieht, achte mich auf unheimlich vieles gleichzeitig und bin davon völlig fasziniert bis komplett überfordert – je nach Tagesform. Gesprächsfetzen, Bildausschnitte, Momentaufnahmen, Stimmungen, Gesten, Zwischentöne. All das spinne ich weiter zu gedanklichen Bildern, forme aus und um, versuche Worte dafür zu finden, sie miteinander bekannt zu machen, aufeinander zu beziehen und in eine bestimmte Ordnung zu bringen. Lange Rede, kurzer Sinn: Mich inspiriert alles, was mir auffällt, mich berührt und nicht so schnell wieder loslässt.

7. Wie lange arbeitest du durchschnittlich an einem Text und hast du eher viele oder wenige Entwürfe in deinem Blog?

An kürzeren Texten, die ich auf meiner Website und auf Facebook veröffentliche, arbeite ich zwischen fünfzehn Minuten und mehreren Tagen. Längere Textentwürfe sammeln sich selten an, abgesehen von zwei Romananfängen, die seit Jahren auf meiner Festplatte liegen und geduldig warten. Was bei mir zu Hause in umso grösserer Zahl zu finden ist, sind Notizbücher voller (bisher) alleinstehender Sätze.

Illustration: Sarah Hügin

8. Leidet die Kreativität, wenn du glücklich bist – oder wenn du unglücklich bist?

Am leichtesten fällt mir das Schreiben, wenn ich aufgewühlt bin, mir Gedanken zu diesem und jenem mache. Meiner Meinung nach ist Glück, wenn man mal eben nicht nachdenkt. Daher schreibe ich eher selten in glücklichen Momenten.

9. Wenn du einen einzigen Text von dir mit auf eine Inseln mitnehmen würdest – welcher wäre das und warum?

Auf eine Insel würde ich ehrlich gesagt lieber Texte von anderen mitnehmen als eigene. Jene kenne ich ja bereits. Vermutlich würde ich einen eigenen Text, mit dem man mich auf einer Insel zurückliesse, fünfzehn weitere Male überarbeiten, bloss um ihn am Ende komplett zu verwerfen und in den Fluten zu versenken.

10. Welche drei anderen literarischen Blogger beneidest du für ihre Sprache?

Ich beschränke mich auf eine, aber jene geht mir mit ihrer Wortgewalt durch und durch: Sarah Riedeberger [Anmerkung: hier als Wortheldin], sie schreibt derzeit unter wirsindnochhier.wordpress.com. Ich habe bisher keinen Text von Sarah gelesen, der mich nicht gleichzeitig staunend, am Boden zerstört und unmittelbar am und im Leben zurückgelassen hat.


Hier findet man Emma denkt. im Netz:

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