Im ungleichen Kampf zwischen Liebe und Zweifel. (Willkommen im Aber.)

I

Du fragst: Was, wenn die ganze Liebe nicht reicht? Was, wenn man immer das Gefühl hat, dass irgendetwas fehlt? Man kann es nicht benennen, aber es ist eben doch immer da. Manchmal kommt es ans Tageslicht, zu flink um es zu erkennen, aber lange genug, um es zu bemerken. Was, wenn dieses eine Gefühl nicht mehr aus dem Kopf gehen will, obwohl da doch all die Liebe ist? Als würde ein kleines Bakterium beginnen, alles Schöne aufzufressen. Man weiß zwar längst, dass man erkrankt ist, scheitert aber vollends an der Heilung. Was, fragst du, was kann man da nur tun? Wie soll man da agieren? Wie sollen wir das ertragen?

II

Ich sehe: Wie du lächelst, wenn ich die Tür öffne und du einfach so da stehst. Diese zarte Bewegung deiner Lippen, und deine Augen, die die meinen suchen und auch finden. Ich schmecke deinen Lipgloss. Er schmeckt nach Erdbeeren und du weißt ja, dass ich den Geschmack von Erdeeren liebe. Du trägst ihn nur für mich und nach diesem Kuss lächeln wir beide uns an. Ich sehe dir dabei zu, wie du deine eine Strähne hinter dein Ohr streichst und manchmal küsse ich dich genau an diese Stelle am Hals, wo die Haare nun ihren Platz finden. Was würde uns nur fehlen, wenn etwas fehlen würde?

III

Du ziehst: Meine Hand aus deiner Unterhose. Es war dein Wunsch und jetzt meintest du, es würde einfach nicht passen und ich will dich natürlich auch nicht drängen. Aber es hat bis eben gepasst und ich bin ganz still, weil ich erspüren möchte, was den Ausschlag gegeben hat. Weil ich erfahren möchte, ob es an mir lag. Weil ich wissen möchte, was los ist. Du sagst aber nichts und drehst dich nur ein bisschen zur Seite, aber ein bisschen genug.

Ich ziehe: Mich zurück. Werfe Gedanken hinein und warte, bis sie große Kreise ziehen. Es sind wieder einmal diese verdammten Schmetterlinge. Sie machen alles kaputt. Denn zuerst sind sie da und man ist glücklich. Man ist vollkommen vernarrt und bespringt sich notgeil in einem Aufzug, selbst wenn man nur vier Stockwerke damit überwinden muss. Nichts kann einen vom anderen fernhalten. Aber irgendwann verschwinden die Schmetterlinge schließlich und irgendwann kommen die Maurer. Stein für Stein.

IV

Willkommen im Aber.
Ich wollte nie, dass du dich für mich veränderst. Aber.
Ich wäre heute sehr gerne bei dir, an deiner Seite. Aber.
Ich glaube dir natürlich. Aber.
Ich liebe dich. Aber.
Aber.
Aber.

Es hat: Begonnen.

V

Wir sind: Nächtelang durch all die Straßen gelaufen, auf der Suche nach dem Anfang. Nach all dem Anfang mit seiner Schmetterlingsherde. Wir sind jedoch nur manchmal über die ersten Auswüchse und Wurzeln des Ende gestolpert. Der Mond ist hell erleuchtet, fast Vollmond und die Nacht zeigt sich von ihrer besten Seite. Wir lachen, sind glücklich, wir sind wir, nicht du und ich und doch sind wir bereits verloren. Es sind die Gedanken, die uns zermartern. Es sind die Gefühle, die deshalb sich selbst auffressen. Wir sind Zuseher im ungleichen Kampf zwischen Liebe und Zweifel. Zwischen Was-wäre-wenn und Warum-nicht-nehmen-was-ist. Zwischen Realität mit Schmutz und Arbeit im Gepäck und dieser verdammten Utopie. Wir sind nächtelang gelaufen, haben uns noch einmal gemeinsam so richtig lebendig gefühlt. Aber es ist wie ein Aufbäumen, ein letztes Hochschrecken. Der Anfang vom Ende sozusagen.

VI

Du sagst: Es fehlt etwas, spürst du das nicht.
Und natürlich spüre ich es, weil du mir fehlst.
Du sagst: Ich bin nicht mehr glücklich mit dir.
Und natürlich bin ich es auch so ganz ohne dich.
Du sagst: Ich weiß nicht woran wir gescheitert sind.
Und natürlich weiß ich es doch.
Du sagst: Ich wünsch dir den besten Partner auf der ganzen Welt.
Und natürlich: Das bist nur du.

VII

Ich stehe: Mit deinen Sachen vor deiner Tür. Wir nehmen Abschied, zum wievielten Male nochmal? Wir gehen unterschiedliche Wege, du gehst sie zumindest und ich stehe bloß still, weil ich nicht gehen kann und auch nicht gehen will. In deiner Schachtel sind CDs und Bücher, sind kleine Briefchen und unsere gemeinsame Vergangenheit. Ich stelle sie ab, vor deiner Tür. Du bist nicht daheim. Nie bist du daheim, wenn ich in jungen Nächten an deinem Wohnhaus vorbeigehe, kein Licht brennt hier und auch kein Leben. Meine Wohnung ist leer von dir und ist viel zu leer so ganz ohne dich. Deine Tür und ich, wir schweigen uns an, ich setze mich auf die Stiege, die einen noch ein Stockwerk höher führt; als würde ich warten, als würde ich auf dich warten können, dass du die Treppe hochkommst oder den Lift, aussteigst und bemerkt hast, dass nichts fehlt. Aber ich warte nicht. Ich verweile nur. Verweilen ist die letzte Möglichkeit, die Gegenwart etwas länger einzufangen, bis auch sie zur Vergangenheit wird.

VIII

Wir haben: Aufgegeben.

 

IX

Ich vermisse: Dein Lächeln, deine Strähne, deine Ohren, deinen Hals. Deinen Lipgloss mit all den Erdbeeren. Ich vermisse deinen Kopf an meiner Schulter, deine Hand sanft auf der meinen. Ich vermisse deine Küsse und Berührungen. Vermisse es, neben dir munter zu werden und mich langsam an dich zu schmiegen. Ich vermisse es, Kaffee für uns beide zu machen und vermisse es, wenn du plötzlich in deinem Schlaf-Top und deiner Unterhose in meiner Küche stehst.

Aber am meisten vermisse ich deinen Glauben an mich. Denn nicht nur habe ich deinen Glauben verloren, sondern leider wohl auch den meinen.

X

Ich frage: Was, wenn die ganze Liebe nie reicht? Wenn da immer etwas ist, das unsere Aufmerksamkeit haben will. Wenn das wie ein Krebsgeschwür einfach kommt und wächst und wächst. Und nur zwei Menschen mit gemeinsam erstarktem Immunssystem können es überwinden. Was, wenn alle um uns irgendwann einmal diese Zweifel hatten? Und wir gehören nun zu den Verlierern, weil wir vorzeitig aufgehört haben. Oder zu schwach waren. Beides macht mich traurig.

Gestern hast du mir meine Dinge zurückgebracht. Alles hineingestopft in jenen Karton, den ich eigentlich dir zurückgegeben habe. Langsam, bedächtig, räume ich sie aus, räume die Bücher ins Regal, räume die CDs in die Schublade, werfe die Zahnbürste in den Mülleimer. Nur die Schachtel. Die bleibt. Sie ist nun das letzte, was ich von dir habe.

XI

Ich sehe: Dich wieder. Es ist unausweichlich und wir reden auch miteinander. Wir reden, als wären wir nur Freunde und als hätten wir nicht für all die Zeit das Bett, das Leben, die Körperflüssigkeiten und die Träume geteilt. Wir spielen die perfekten „Lass-uns-Freunde-bleiben“-Freunde, du in der besten weiblichen und ich in der besten männlichen Hauptrolle. Wir bleiben oberflächlich. Du erzählst mir nicht, wer dir gestern sichtlich den Schlaf geraubt hat und ich erzähle dir nicht, dass ich mir mit Onenightstands die Traurigkeit wegficke, weil du mir immer noch fehlst. Ja, brülle ich dir lautlos ins Ohr: Du fehlst mir immer noch, verdammt. Aber das dauert eben. Alles dauert eben. Irgendwann taucht da jemand Neuer auf, der mich infiziert. Der diese Bindung mit dir endlich kappt, dieses ungesunde Ungetüm, aber jetzt können wir gerne nur noch reden. Fast so als wären wir Freunde.

XII

Ich denke: Fast gar nicht mehr an dich.

XIII

Ich bin: Verliebt. Es ist wundervoll. Es ist einzigartig. Ganz anders als mit dir und mir damals. Es ist intensiver und schöner, es ist atemberaubender und farbenfroher. Sie ist wundervoll und wunderschön. Sie gibt mir Hoffnung und sie glaubt an mich! So wie du damals, nur noch mehr. Sie küsst so sanft und leidenschaftlich. Und sie hat ein Parfum, das nach Erdbeeren riecht, weißt du? Das ist der Beginn von etwas Neuem, verstehst du?

XIV

Die Schmetterlinge sind weg. Es war nur eine Frage der Zeit. Jetzt heißt es warten. Jetzt kann es also jederzeit passieren, dass dieses neue Wir zwischen ihr und mir explodiert. Bis ich erneut vor den Trümmern stehe und mich frage, wo es eigentlich begann falsch zu laufen. Du hast dich jetzt auch frisch verliebt, hab ich gehört. Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass es mich freut für dich. Ich müsste lügen, wenn ich sage, ich hoffe, du wirst glücklich mit ihm. Denn ich möchte jetzt endlich glücklich sein, möchte nicht immer in der Angst leben, dass es ihr, trotz all der Liebe, nicht reicht.

Es soll: Jetzt endlich einmal um mich gehen, okay?

XV

Ich habe: Nun auch endlich deine Schachtel weggeworfen. Und ich glaube, es fühlt sich richtig an.

Bildquelle: DeathtotheStockPhoto / Lizenz (in Plain English)


Dieser Text wurde unter dem Titel „Willkommen im Aber.“ als Teil der Longlist-Texte in der 2018er-Anthologie „Begegnungen“ des Mölltaler Geschichten Festivals veröffentlicht.

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