Andreas Glumm • Wortheld Juni 2015

Ich hole sie vor den Vorhang: Wer sind diese Worthelden, die mich mit ihren literarischen Texten auf ihren Blogs verzaubern? Diesmal hat Andreas meine zehn Wortheld-Fragen beantwortet.

Lesung Hamburg 2014 – Fotograf: Oliver Driesen

 

Wer bist du und wenn ja, warum?

Im Grunde bin ich immer ein bisschen versteckt, ein bisschen heimlich – so ist meine Natur. In meiner Kindheit, wenn wir in den Sommerferien auf langen Autoreisen in den Süden unterwegs waren und in der Ferne glitten die Berghänge und Pinienwälder vorüber, sehnte ich mich dorthin, auf die Bergkuppe, ins grüne Dickicht – das Gestrüpp zog mich magisch an. Um mich verstecken zu können. Zu verbergen.

Dieses Hinwünschen in fremde Wälder, das bin ich.

*

„Manchmal fühl ich mich wie ein Höhlenmensch, den man in ein Kaufhaus geschubst hat“, sagt die Gräfin.

Ich nicke.

Und wie viel davon steckt in deinen Texten?

Selbst wenn man noch so authentisch und wirklichkeitsnah zu schreiben versucht, Schreiben ist und bleibt die Erschaffung einer eigenen Welt und kennt die Wirklichkeit nur als Geschwisterchen.

*

Du schreibst viel von früher, warum? hat jemand gefragt. Antwort: Weil ich damals dabei war. Ja, aber heute bist du doch auch dabei! Richtig. Aber mit jedem Tag, den man älter wird, vergrößert sich die Vergangenheit, an der man beteiligt ist, während die Größe der Gegenwart stets konstant bleibt. Und die Zukunft? Schrumpft mit dem Alter.

Ich schreibe davon, wovon ich am meisten verstehe.

*

Ich war wie betäubt. Richard Brautigan war tot. Ich kannte seine Bücher noch nicht sehr lange, und es war Linus gewesen, der mich darauf gebracht hatte. Linus, der immer einen Geheimtipp auf Lager hatte. Wir liebten beide die Amerikaner und ihre Art, das Leben zu beschreiben. Das lebendige, das unverkopfte. Ich lieh ihm einen meiner Favoriten, John Steinbecks legendären Loser-Roman „Die Straße der Ölsardinen“.

Linus verliebte sich so sehr in das Buch, dass er, je länger er darin las, immer langsamer wurde, um das drohende Ende hinauszuzögern. Für die letzten beiden Seiten benötigte er geschlagene zwei Monate. Jeden Abend gönnte er sich nur wenige Sätze, manchmal nur nur drei oder vier Worte. Für den letzten Absatz brauchte er vierzehn Tage. Als es sich beim besten Willen nicht länger hinauszögen ließ und er das Buch zuklappte, weinte er.

“Jetzt ist nur noch Hank übrig”, sagte ich deprimiert, und Linus nickte.

Jetzt war nur noch Bukowski unter den Lebenden. Brautigan und Bukowski waren unsere Helden gewesen in einem Meer aus Scheiße, (und John Fante natürlich, aber der war schon lange tot). Ihre Bücher machten Mut, dass es auch anders ging. Dass es einen Versuch wert war, so zu schreiben, als hätte das Herz eine Füllerkappe. Einen Boxhandschuh. Ein Reinheitsgebot.

Oder einfach gute Laune.

„Jetzt musst du es machen, Glumm“, meinte Linus.

Ich sah in sein Gesicht und versuchte irgendwelche Anzeichen von Ironie zu entdecken, oder Verhohnepiepelung wenigstens, doch es war nichts zu sehen.

Mir brach der Schweiß aus.

Ein Text von glumm.wordpress.com

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Seit wann und warum schreibst du eigentlich?

Ich war schon über vierzig, als ich mich vage daran erinnerte, dass es in meinem Leben einmal mehr gegeben hatte als eine Nase zu ziehen, mich zu besaufen und das defekte Lämpchen in all dem Glitzer zu sein. Genauer gesagt: fünfundvierzig.

Am 11. Januar 2005 kam mein Bruder rüber, stöpselte das Internet ein und ich begann zu schreiben.

Bis heute hab ich nicht aufgehört.

*

Geschichten sind alles, was wir haben. Mit dem Erzählen von Geschichten versichern wir uns gegenseitig unsere zufällige Existenz.

*

Ich war sechzehn, als ich die Schule schwänzte und auf der Wiese von Bauer Pott die ersten Gedichte schrieb. Die Wiese liegt auf einer Anhöhe und eröffnet einen Panoramablick übers Bergische Land, ganz große Klasse. Die Gedichte waren jetzt nicht so der Renner, hatten aber hier und da Ansätze und vor allem: Struktur. Weil die Helden meiner Teenagertage, Jim Morrison und die Doors, der Legende nach 1967 am Strand von Venice beschlossen hatten, mit ihrer Musik eine Million Dollar zu machen, beschloss ich 1976 auf Potts Wiese ein Riese zu werden im Gedichtegeschäft und eine schöne Mark zu machen. Aber erstmal blieb ich Fußballer.

Das war besser.

*

Schreiben ist Schlaf, ist Trance. Wenn ich nach einigen Stunden vom Schreibtisch aufstehe, beginne ich zu frieren. Ich gähne siebzehn, achtzehn Mal hintereinander, ich bin komplett k.o. Es ist, als habe das Schreiben sämtliche Energie auf einen Punkt konzentriert und von allen anderen Körperteilen abgezogen. Mir ist vermutlich schon beim Schreiben kalt gewesen, ich bin schon die ganze Zeit k.o., aber ich hab es nicht mitgekriegt. Ich habe geschlafen. Ich war in Trance. Erst nach dem Schreiben merke ich, was eigentlich los ist in der Welt.

*

Wenn ich den ganzen Tag am Rechner sitze und das Holz des Schreibtischs einatme, gibt es nichts schöneres, als am Abend mit dem Hund durch den Wald zu laufen und das Holz der Bäume einzuatmen.

*

Menschen, die lesen, sind schöne Menschen. Lasst uns schöne Menschen machen.

*

Schreiben ist eine Möglichkeit, fortzulaufen, obwohl man mit dem Hintern daheim bleibt.

 

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Was macht dich sprachlos?

Ich lach mich immer halbtot, (was ungefähr dasselbe ist wie sprachlos sein), wenn die coolen Leute sich hinstellen und verkünden, irgendetwas wäre ja das absolute No Go! Dabei habe ich genau das schon als kleiner Junge in den Sechzigerjahren gehört, nur hieß es damals Das tut man nicht! und war der Oberspießer-Satz Nummer 1.

Wo befindet sich dein kreativster Ort?

Überall, wo mein Notizbuch ist. Ich bin mit dem Notizbuch hinter dem Leben her wie der Vielzitierte hinter dem Weihwasser. Ich versuche die Sätze da zu packen, wo sie ins Leben treten, an der Quelle. Wenn ich in eine Situation gerate, über die sich schreiben lässt, setze ich mich unmittelbar danach hin und schreibe alles auf. Das Notizbuch ist stets griffbereit, auch in der Nacht. Falls ich wach werde und gerade den Traum des Jahrhunderts gefeiert habe.

Wer oder was inspiriert dich?

Als ich die 27 geschafft hatte und 28 wurde, lag das Problem auf der Hand – ich brannte vor Sorge: Worüber sollst du eigentlich schreiben, wenn die wilden Jahre vorüber sind – wenn Drogen keinen Spaß mehr machen, wenn Gin nur noch fade schmeckt und einen deprimiert, wenn man den Frauen nur noch hinterherschaut, weil man es immer so gehalten hat und wenn die Nacht nur noch zum Schlafen da ist und man früh um Sieben zur Arbeit hastet statt im Morgengrauen von der Party heimzukehren, im Schritt bekotzt, eine kalte Zigarre im Gesicht – worüber zum Teufel soll man dann noch schreiben!!? Dass man mit dem Hund rausgeht dreimal am Tag!!? Antwort: Ja genau. Zum Beispiel, dass man mit dem Hund rausgeht.

Es gibt immer was zu schreiben, es fällt einem nur manchmal nicht ein.

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass man nur lange genug sitzen bleiben muss, bis einem was einfällt. Das kommt meinem Naturell sehr entgegen. Ich sitze gern, und ich gebe ungern auf, was ich einmal begonnen hab.

„Typen wie mir, die das Glück hatten, nicht mit 27 zu sterben, obwohl sie doch alles dafür getan haben, um Aufnahme in den Klub 27 zu finden, solchen Typen bleibt nichts anderes übrig, als die Suppe von Grund auf ganz auszulöffeln und noch mal 27 Jahre draufzusatteln, bevor man endlich gehen darf“, sagte ich abends zu ihr, überwältigt von der eigenen Schlauheit.

„Na, dann hast du es ja dieses Jahr geschafft“, rechnete sie kurz durch.

Das war letztes Jahr.

Wie viele Entwürfe verstecken sich in deinem Blog?

Dutzende. Hunderte. Tausende. Je nach Länge der Geschichte. Jeder Eintrag wird so oft überarbeitet, bis es passt, auch dann noch, wenn er längst ins Netz gestellt ist. Dabei kann es natürlich passieren, dass ich eine an sich runde Geschichte zu Tode korrigiere. Dann bin ich immer froh, wenn ich auf die Ur-Versionen zurückgreifen kann und alle Korrekturen ein letztes Mal re-korrigiere und wieder da lande, wo ich angefangen hab.

Beim ersten Versuch.

Bist du kreativer, wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?

Ich nehme es wie es kommt. Glücklich, traurig, deprimiert, manisch, cool – alles was dazu gehört, ist willkommen. Man kann seiner Bestimmung nicht entfliehen. Das Schicksal ist wie ein kräftiges Gummiband, das einen mal hierhin, mal dorthin Auslauf gestattet und in einem gewissen Rahmen ausbüxen lässt, doch am Ende gibt es einen trockenen kurzen Ruck und du schnackst zurück zum Ort deiner Bestimmung.

Du kannst deinem Schicksal nicht entgehen, es ist ja deins.

Was ist dein ganz persönlicher, selbst geschriebener Herzenstext?

Das sind die Texte um den Tod meiner Eltern, die ich 2014 unter dem Sammeltitel „Geplant war Ewigkeit “ geschrieben hab.

Welche drei literarischen Blogger möchtest du empfehlen?

Andreas • Blog – glummBlog – 500beineTwitter

2 thoughts on “Andreas Glumm • Wortheld Juni 2015

  1. Vor sechs Wochen sagte ein Kumpel zu mir: Google mal Studio Glumm,könnte dir gefallen.
    Es war der beste Tip seit Jahren. In meinem ersten Kommentar nannte ich ihn seelenverwandt ,danach schrieb ich immer mehr über mich und meine Vergangenheit.Glumm motivierte mich selbst einen Blog zu starten,dafür bin ich ihm mehr als dankbar.Ein ehrlicher cooler warmherziger Autor,nie langweilig,seine Geschichten zeitlos aktuell.für mich ein ganz Großer!

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